Hintergründe

Die Prinzessin im Märchen: Nicht mehr als schön?

Prinzessin im Märchen Dornröschen

Wenn man an Märchen denkt, denkt man zuerst an sie: die Prinzessin. Höchste Zeit also, dass wir uns die Prinzessin im Märchen genauer ansehen.

Die Prinzessin im Märchen: besser als ihr Ruf?

Die Prinzessin im Märchen gehört noch immer zu den beliebtesten Märchenfiguren. Das ist eigentlich etwas überraschend, hat sie doch einen ziemlich schlechten Ruf, schließlich gilt sie als passiv, stereotyp und irgendwie auch ziemlich langweilig. Denn mehr als einfach schön ist sie irgendwie nicht, oder?

In unserer Märchenkunde „Einfach schön“ (Folge 63) schauen wir uns die Prinzessin im Märchen mal genauer an. Als wir in Folge 11 über Frauen im Märchen gesprochen haben, wurden wir positiv überrascht, denn Frauen sind im Märchen emanzipierter, als man denkt. Ob das auch für Prinzessinnen gilt, versuchen wir herauszufinden. Dazu schauen wir uns an, was eine Märchenprinzessin eigentlich ist, welche Merkmale sie aufweist und ob es verschiedene Arten der Prinzessin im Märchen gibt.

Das ist eine Märchenprinzessin

Wenn wir an typische Märchenprinzessinnen denken, fallen uns sofort Schneewittchen und Dornröschen ein. Aber auch Rapunzel und Aschenputtel gehören zu den bekanntesten Märchenprinzessinnen. Dabei unterscheiden sich die beiden von Schneewittchen und Dornröschen durch einen entscheidenen Punkt: Beide sind keine Prinzessinnen von Geburt an. Sie erlangen ihren Prinzessinnenstatus, anders als die hochwohlgeborenen Schneewittchen und Dornröschen, erst durch ihre Hochzeit mit dem Prinzen. Was gilt nun?

Per Definition zeichnet sich eine Märchenprinzessin dadurch aus, dass

  1. sie entweder die Tochter eines Königs oder Kaisers oder aber die Frau eines Prinzen ist.
  2. sie als Märchenfigur im Grimmschen Märchen die Idealfrau des 19. Jahrhunderts verkörpert.
  3. es zwei Typen von Prinzessinnen gibt.
  4. es nicht die eine Art von Prinzessin gibt.

1. Tochter oder Gemahlin

Die Prinzessin im Märchen definiert sich über ihre Beziehung zu Männern. Die wichtigsten Männer im Leben einer Frau waren früher der Vater und der Ehemann. Sie trafen die Entscheidungen für die Frau und es war üblich, dass die Tochter mit ihrer Hochzeit aus der Obhut des Vaters in die Obhut des Gatten übergeht. Bei der Prinzessin im Märchen, die am Ende stets ihren Prinzen bekommt, ist dieses Merkmal sehr ausgeprägt.

2. Die Idealfrau des 19. Jahrhunderts

Wie jeder Literat und jede Literatin so waren auch die Grimms geprägt vom zeitgeschichtlichen Kontext, in dem sie agierten. Neben den starken Einflüssen der Epoche der Romantik zeigt sich das auch an der Figur der Märchenprinzessin. Denn diese entspricht dem Bild der Idealfrau des 19. Jahrhunderts. Und diese ist Aristokratin, besitzt aber auch Attribute der bürgerlichen Mittelschicht.

3. Zwei Prinzessinnen-Typen

Grundsätzlich lässt sich eine Prinzessin in zwei Typen unterscheiden: Typ 1 verkörpert eine bestimmte Tugend, wie zum Beispiel Aschenputtel Fleiß und Bescheidenheit, und ist meist von niederer Herkunft. Hieran zeigt sich, dass im Märchen nicht immer alles wörtlich genommen werden kann. Eine Prinzessin muss nicht wahrhaft adelig sein, sondern kann auch dann als Prinzessin gelten, wenn sie über die für eine Prinzessin idealisierten Eigenschaften verfügt. Gemäß dieser Definition können Aschenputtel und Rapunzel, obwohl sie nicht als Prinzesinnen geboren sind, also als Märchenprinzessinnen gelten.

Typ 2 zeichnet sich vor allem durch seine Schönheit aus und ist meist eine Königstochter.

4. Mehr als eine Prinzessin

Die Prinzessin ist zwar eine klassische Märchenfigur, die eine Prinzessin gibt es aber nicht. Wenn ihr unseren Podcast verfolgt, dann wisst ihr, wie unterschiedlich zum Beispiel Allerleirauh, Schneewittchen und die Prinzessin aus „Der Froschkönig“ sind.

Ein allgemeiner Hinweis: Da Märchen sehr vielschichtig sind, gilt diese Einteilung nicht zwangsläufig für alle Märchen, wie immer gibt es auch hier Ausnahmen. Gerade in den Grimmschen Märchen tauchen diese zwei Typen auf. Damit ist über die Prinzessin im Märchen aber längst noch nicht alles gesagt. In unserer Folge 63 „Einfach schön“ sprechen wir ausführlich über die Märchenprinzessin und ihre Merkmale sowie die verschiedenen Arten von Prinzessinnen, die uns im Märchen begegnen.

Merkmale einer Prinzessin

Die Prinzessin ist im Märchen eine sehr wichtige und präsente Figur, die sich von anderen weiblichen Märchenfiguren wie der Hexe oder der Nixe klar abgrenzen lässt. Wir haben folgende Merkmale festgestellt:

  1. Die Prinzessin ist eine stark typisierte Figur.
  2. Sie ist meist an einen Prinzen gebunden.
  3. Partnergewinnung und Eheschließung stehen für sie im Mittelpunkt.
  4. Sie ist jugendlich.
  5. Sie ist schön und/oder besonders tugendhaft.
  6. Tugendhaftigkeit ist eine typische Eigenschaft. Besitzt sie diese nicht von Anfang an, lernt sie diese im Laufe der Geschichte.

Arten von Prinzessinnen im Märchen

Auch wenn es einige Merkmale gibt, die auf einen Großteil der Prinzessinnen im Märchen zutreffen, variiert ihr Schicksal von Märchen zu Märchen. Aus diesem Grund kann die Märchenprinzessin nicht bloß auf einen Typus reduziert werden. Wir haben verschiedene Arten von Prinzessinnen ausgemacht:

  1. Die verwunschene oder verzauberte Prinzessin
  2. Die Erlöserin
  3. Die Rebellin
  4. Die Prinzessin, die ihre Rolle noch lernen muss
  5. Das Opfer
  6. Der Preis
  7. Prinzessin aus Belohnung

Dabei kann eine Prinzessin im Märchen nicht bloß eine dieser Kategorieren zugeordnet werden, sondern kann auch zu mehreren Arten passen.

1. Die verwunschene oder verzauberte Prinzessin

Bekannte Prinzessinnen wie Dornröschen oder Schneewittchen fallen in diese Kategorie: Sie wurden verzaubert oder mit einem Fluch belegt und können nur warten, bis sie gerettet werden. Bei der verwunschenen oder verzauberten Prinzessin handelt es sich um die passivste Form der Prinzessin, da sie selbst nichts zu ihrer Erlösung beitragen kann und auf einen Retter angewiesen ist.

2. Die Erlöserin

Hier erlöst die Prinzessin ihren verzauberten oder verfluchten Ehegatten. Dazu muss sie meist eine lange Reise zurücklegen, verschiedene Prüfungen bestehen und viel Leid ertragen. Ein Beispiel dafür ist Rapunzel, die dem Klischee der passiven Prinzessin entgegenwirkt und zeigt: Prinzessinnen können sehr wohl auch mal etwas tun und die Handlung der Geschichte sowie das Schicksal anderer aktiv beeinflussen.

3. Die Rebellin

Die Rebellin ist die Prinzessin, die nicht heiraten will. Da eine Hochzeit die oberste Pflicht und das Lebensziel einer Prinzessin ist, rebelliert sie ganz klar gegen gesellschaftliche Norm, wenn sie sich dieser Pflicht verweigert. Im Märchen kommt sie damit nur leider nicht durch, der Wunsch, nicht heiraten zu wollen wird ihr, wie etwa in „König Drosselbart“, als Hochmut ausgelegt oder sie wird wie in „Das Meerhäschen“ als grausam dargestellt. Daran zeigt sich: Der Typus der Rebellin kann nur in den Grenzen der damaligen Wertevorstellungen rebellieren und wird am Ende von diesen korrigiert. Oder anders gesagt: Am Ende heiratet sie dann eben doch.

4. Die Prinzessin, die ihre Rolle noch lernen muss

Prinzessinnen im Märchen sind nicht nur schön, sondern auch besonders tugendhaft allerdings nicht immer von Anafang an. Manche sind zu Beginn noch faul oder hochmütig und müssen erst eine Läuterung erfahren, damit sie ihre Rolle erfüllen können und am Ende für die Ehe geeignet sind. „König Drosselbart“ oder „Das singende, klingende Bäumchen“ sind Beispiele für diese Art der Prinzessin, der damit immerhin eine, wenn auch einseitige, charakterliche Wandlung zugesprochen wird.

5. Das Opfer

Die Prinzessin im Märchen ist oft das Opfer böser Machenschaften. Häufig befindet sie sich in einer Gefahrensituation und ist zum Beispiel gefangen und muss befreit werden, indem der Unhold besiegt und getötet wird. Diese Aufgabe darf natürlich der Prinz übernehmen.

6. Der Preis

In einigen Märchen ist die Prinzessin nur eine Randerscheinung in der Geschichte. Ein junger Mann bekommt sie als Preis, nachdem er verschiedene Prüfungen bestanden hat. Solche Prinzessinnen haben meist keine weitere Funktion im Märchen, als dass sie in einem Nebensatz erwähnt werden und die Krönung der männlichen Heldentaten sind.

7. Prinzessin aus Belohnung

Diese Art der Prinzessin bezieht sich auf jene weiblichen Figuren, die nicht von Geburt an Königstöchter sind. Durch die Prüfungen, die sie bestehen, und ihren tugendhaften Charakter können sie jedoch die Standesgrenzen überwinden und mit einem Prinzen Hochzeit feiern. Aschenputtel erlebt diese Form des sozialen Aufstiegs. Ihr vorbildliches Wesen wird durch ihren Aufstieg in den Prinzessinnenstand besonders unterstrichen. Hier kommt dann auch der pädagogische Ansatz von Märchen zum Tragen: Wenn du dich vorbildlich verhältst, lohnt sich das.

Die Prinzessin im Märchen: Mehr als ein Klischee?

Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Prinzessin als Märchenfigur stereotyper ist als andere weibliche Märchenfiguren. Sie bietet weniger Vielfalt als etwa Nixen oder Feen, sie einzig und allein auf einen Typus zu beschränken, wird ihr allerdings auch nicht gerecht. Denn Prinzessinnen im Märchen zeigen durchaus Varianten auf, auch wenn keine krassen Ausreißer dabei sind. Selbst die rebellischen Prinzessinnen agieren stets im Rahmen der damaligen gesellschaftlichen Möglichkeiten. Wie im realen Leben ist ihr Auflehnen gegen ihre Rolle nicht erfolgreich, am Ende dominiert die ihnen zugedachte Rolle über ihre individuellen Bedürfnisse. Die Prinzessin fügt sich, denn sie hat keine andere Wahl.

Und noch ein weiterer Grund spielt dabei eine Rolle: Die Prinzessin im Märchen als Verkörperung eines weiblichen Ideals sollte als Identifikationsfigur für Mädchen herhalten. Und Mädchen im 19. Jahrhundert sollten nunmal Prinzessinnen sein: schön, tugendhaft, folgsam und sich in die ihnen von der patriarchalen Gesellschaft zugedachte Rolle fügend. Dass Frauen, gerade gut bürgerliche Frauen, aus dieser Rolle ausbrachen, war undenkbar und für die Frau mit einem Existenzverlust verbunden. Gerade durch die gesellschaftlich überhöhte Position der Prinzessin sollte vermittelt werden, wie Frauen damals rollenkonform agierten: Mädchen sollen nicht aktiv sein, sondern auf den Richtigen warten. Mehr als heiraten und Kinder kriegen hatten sie ja eh nicht zu tun.

Die Funktion der Prinzessin im Märchen

Märchen geben mit der Prinzessin nicht nur das Idealbild einer Frau vor. Sie zeigen auch ganz deutlich: Ein Handeln außerhalb der gesellschaftlichen Rolle ist problematisch. Andere weibliche Märchenfiguren haben diesbezüglich mehr Möglichkeiten.

Aus heutiger Sicht ist dieses Frauenbild nicht mehr tragbar und wird zu Recht als überholt und passiv verurteilt. Berücksichtigt man den zeitgeschichtlichen Kontext, wird klar, dass die Ausgestaltung der Prinzessin aber auch nie eine Chance hatte, anders zu sein, denn sie ist zu einer Zeit entstanden, in der das Dasein der Frau einzig auf das Ziel der glücklichen Ehe beschränkt war. Schaut man genauer hin, findet man durchaus Ausnahmen, die Rollenklischees in Frage stellen. Mehr als das war zu der damaligen Zeit aber wohl einfach nicht möglich.

Die Märchenprinzessin heute

Heute ist unsere Sicht zum Glück eine andere. Dass Prinzessinnen trotzdem zur Identifikationsfigur taugen, zeigen moderen Adaptionen wie wir sie zum Beispiel bei Disney finden. Was wir uns mit Blick auf die Prinzessin im Märchen vergegenwärtigen müssen: Sie ist ein Zeugnis ihrer Zeit und so muss sie auch gelesen werden. Unsere Aufgabe ist es, sie weiterzuentwicklen und aus ihr ein realistische und diverse Figur zu machen, mit der sich Mädchen und Frauen von heute identifizieren können.

Wie wichtig das ist, zeigt sich daran, dass manche Eigenschaften der Märchenprinzessin bis heute fest im Frauenbild verankert sind. Von Mädchen wird noch immer erwartet, dass sie duldsam und lieb sind, dass sie ihre Bedürfnisse zum Wohle anderer zurückstellen und dass es eben Dinge gibt, „die man als Mädchen nicht macht“. Die Prinzessin im Märchen zu kritisieren, ist somit durchaus richtig und wichtig. Ändern können wir sie aber nicht, denn sie ist Geschichte. Wir können nur dafür sorgen, dass sich Geschichte nicht wiederholt.

➛ Alles zum Thema „Prinzessin im Märchen“ könnt ihr ausführlich in unserer Folge 63 „Einfach schön“ hören.


Bildnachweis: Jenny Nyström, Nuström Sleeping Beauty, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons