Hintergründe

Die Empfindsamkeit: Epoche von Sentimentalität und Schwärmerei

Empfindsamkeit Epoche Gemälde "La Camargo Canding"

Die dominante Bewegung des 18. Jahrhunderts war die Aufklärung. Doch auch sonst war in dieser Zeit einiges los. Neben dem Sturm und Drang als Protestbewegung entwickelte sich parallel auch die Empfindsamkeit. Was die Empfindsamkeit-Epoche genau ist und welche Merkmale für sie typisch sind, lest ihr hier.

Das 18. Jahrhundert wird vor allem mit der Epoche der Aufklärung in Verbindung gebracht. Ihre Ideen von Gleichberechtigung und Toleranz haben das gesamte europäische Herrschaftssystem erschüttert, ihre Leitgedanken von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit wirken bis heute nach.

Doch auch wenn die Ideen und Ideale der Aufklärung ihre Zeit dominierten: Die Aufklärung war nicht die einzige Epoche, die bedeutend für die deutsche Literaturgeschichte ist. Parallel zur Aufklärung entwickelten sich zwei weitere literarische Strömungen: der Sturm und Drang und die Empfindsamkeit. Hier haben wir zusammengestellt, was genau sich hinter der Empfindsamkeit-Epoche verbirgt, wie sie sich von Aufklärung und Sturm und Drang unterscheidet und welche Merkmale für diese literarische Strömung typisch sind.

Und wie bebt mir mein Herz von süßen, wallenden Freuden, dass ich so lange schon Mensch bin

„Messias“, Friedrich Gottlieb Klopstock

Das ist Empfindsamkeit

Die Empfindsamkeit bezeichnet eine Literaturströmung, die sich aus der Aufklärung heraus entwickelte. In der Literaturgeschichte umfasst sie den Zeitraum von 1740 bis 1790, in Frankreich und England entwickelte sie sich als Tendenz bereits ab 1700 aus einem überwiegend religiösen Ursprung heraus. Ihr spezifisches Merkmal ist die Überhöhung des Gefühls. In einem ebenso gefühlsbetonten wie sentimentalen, naturverbundenen und frommen Weltbild stellte das junge Bildungsbürgertum Gefühl und Empfindung mit dem Rationalismus der Aufklärung gleich.

Der Begriff der Empfindsamkeit geht auf den deutschen Dichter Gotthold Ephraim Lessing zurück. Er riet dem Verleger Johann Christoph Bode den Roman „A Sentimental Journey through France and Italy“ von Laurence Sterne mit dem Titel „Yoriks empfindsame Reise“ zu übersetzen – ein Neologismus, denn das Wort „empfindsam“ hatte es bis dato nicht gegeben. Es handelt sich somit um eine Wortneuschöpfung, die sich erst zu dieser Zeit im deutschen Sprachgebrauch verankerte und nachträglich zum Namensgeber dieser literarischen Strömung wurde. Im Deutschen Wörterbuch von 1776 heißt es dazu: „Empfindsamkeit ist sonach die Fähigkeit, leicht zu sanften Empfindungen gerührt zu werden.“

Historischer Hintergrund

Die Epoche der Empfindsamkeit veranschaulicht deutlich, dass eine Literaturepoche niemals für sich steht und nicht losgelöst von anderen Epochen und Strömungen gesehen werden kann. Epochen und literarische Strömungen beeinflussen sich immer gegenseitig, verlaufen oft parallel und sind meist eine Reaktion auf das, was andere Epochen bereits aufgegriffen haben. So war im 18. Jahrhundert die Aufklärung (1720–1790) die dominierende Epoche. Ab 1765 stellte sich der Sturm und Drang ihren Idealen von Vernunft und Verstand entgegen, ehe die Weimarer Klassik die aufklärerischen Ideen von 1786 bis 1831 wieder aufgriff und in ein harmonisches Gleichgewicht zu bringen versuchte. Diese wurden von der gefühlsbetonten Welt der Romantik ab 1795 wiederum komplett abgelehnt.

Neben dem Sturm und Drang verlief auch die Empfindsamkeit zeitgleich zur Aufklärung. Während sich der Sturm und Drang als Protest- und Gegenbewegung zur Aufklärung positionierte, war die Empfindsamkeit beiden Epochen zugewandt. Sie ist eine Reaktion auf die Dominanz des Rationalismus und Vorläufer des Sturm und Drang.

Das Weltbild der Aufklärung

Um die Denkweise der Empfindsamkeit zu verstehen, ist es wichtig, das Welt- und Menschenbild der Aufklärung zu kennen. Die gesellschaftliche und politische Lage zu dieser Zeit sah wie folgt aus: Zur Zeit von Aufklärung, Empfindsamkeit und Sturm und Drang war das Deutsche Reich in über dreihundert souveräne Einzelstaaten zersplittert, Religions- und Bürgerkriege erschütterten das Land und ein starres Ständesystem bestimmte die gesellschaftliche Ordnung. Mehr und mehr breitete sich jedoch der Gedanke des Fortschritts aus, der begann, den Absolutismus und die Vormachtstellung des Adels in Frage zu stellen. Forderungen nach Toleranz und Gleichheit wurden immer lauter. Sie gipfelten im Jahr 1789 in der Französischen Revolution, die das europäische Herrschaftssystem nachhaltig veränderte. 

Im Sinne der Aufklärung sollte sich der Mensch durch den Gebrauch seines Verstandes von seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit befreien und sein Recht auf Emanzipation, Bildung und Bürgerrechte einfordern. Verstand und Vernunft waren die höchsten Ideale der Aufklärung, entsprechend rational war der Charakter dieser Epoche.

Merkmale der Empfindsamkeit

Der Name „Empfindsamkeit“ verrät bereits, dass es ihren Vertretern und Vertreterinnen nicht um Rationalismus, sondern um Gefühl ging. Das ist jedoch nur auf den ersten Blick ein Widerspruch zur Aufklärung. Denn die Empfindsamkeit lehnte die aufklärerischen Ideen von Vernunft und Verstand keineswegs ab. Vielmehr erweiterte sie den Rationalismus um den Aspekt des Gefühls und erhob individuelle Empfindungen zu ihrem Ideal. Neben ihrer Gefühlsbetontheit sind eine starke Naturverbundenheit und Frömmigkeit typische Merkmale der Empfindsamkeit.

Die Merkmale der Empfindsamkeit-Epoche im Überblick:

  • Gefühlsbetontheit
  • Frömmigkeit
  • Naturverbundenheit

Der Rationalismus geht davon aus, dass der Mensch nur mit seinem Verstand die Wahrheit erkennen kann. Jegliche Form der Wahrnehmung, des Denkens und des Handels beruht auf Vernunft und Logik. Die Anhänger und Anhängerinnen der Empfindsamkeit hingegen vertraten die Ansicht, dass es die individuellen Gefühle und das emotionale Innenleben eines Menschen sind, die dessen Handlungen und seine Persönlichkeit beeinflussen. Anders als das rationale und moralische Weltbild der Aufklärung wurde die Weltsicht der Empfindsamkeit von Enthusiasmus und Sentimentalität, also von Rührseligkeit und überschwänglicher Begeisterung, bestimmt. Als intensive Gefühlsregungen halfen sie dem Bildungsbürgertum, ihrer gesellschaftlichen und politischen Unterdrückung zu entfliehen.

Betonung des Gefühls

Das zentrale Merkmal der Empfindsamkeit ist das intensive Empfinden und Erleben von Gefühlen, das sich in Schwärmerei und einem regelrechten Überschwang äußerte. Charakteristisch sind das eben erwähnte sentimental-enthusiastische Weltbild sowie eine Sensibilität für seelische Vorgänge.

Die eigenen Gefühle und der Blick auf das Innere waren den Vertreterinnen und Vertretern der Empfindsamkeit so wichtig, dass sie das Gefühl zum Maßstab für Handlungen und Persönlichkeit erklärten. Gefühle waren menschlich und sollten nicht länger versteckt werden. Aus dieser Haltung ergeben sich Motive wie Lebensgenuss, Freundschaft, das Beobachten seelischer Regungen und die Ergriffenheit in Hinblick auf Anmut und Tugend.

Gefühle, die für die Empfindsamkeit von besonders großer Bedeutung waren, sind: 

  • Freundschaft
  • Nächstenliebe
  • Geschwisterliebe
  • Naturliebe
  • Trauer

Ganz im Sinne des empfindsamen Weltverständnisses handelt es sich hierbei um Gefühle, denen bereits eine gewisse Rührseligkeit und Ergriffenheit zugrunde liegen. Denn die Empfindsamkeit huldigte nicht allen Emotionen. Temperamentvolle oder gar negative Gefühlsregungen wie Zorn oder Begierde zählen nicht zu ihren Idealen.

Frömmigkeit

Passend dazu ist auch Frömmigkeit ein wichtiges Gefühl und Merkmal der Empfindsamkeit. Beeinflusst vom Pietismus ging es dabei um eine subjektive Wahrnehmung des Göttlichen. Der Pietismus war eine religiöse Bewegung innerhalb des deutschen Protestantismus gegen den Dogmatismus der Kirche. Diese hielt starr an ihren Anschauungen fest und verweigerte sich dem Fortschrittsdenken der damaligen Zeit.

Die Empfindsamkeit lehnte kirchliche Vorgaben ab. Da sie den Mensch als gefühlsgeleitetes Wesen verstand, sollt er selbst einen Zugang zur Religiosität finden und nicht blind den Lehren der Bibel folgen. Frömmigkeit galt als Gefühlssache, entsprechend individuell, subjektiv und gefühlsbetont sollte sie sein.

Naturverbundenheit

Ein Ort, der das individuelle Empfinden und Erleben von Gefühlen möglich machte, was für die Vertreter und Vertreterinnen der Empfindsamkeit die Natur. Sie war der Raum, in dem sich der Mensch in sich und sein Gefühlsleben zurückziehen konnte, die gleichzeitig aber auch jene sentimental-schwärmerischen Gefühle weckte, die die Empfindsamkeit so verehrte.

Ein anschauliches Beispiel dafür ist das Gedicht Abendlied von Matthias Claudius aus dem Jahr 1779. Es beschreibt den Wald bei Nacht und ist als Schlaflied Der Mond ist aufgegangen bekannt: 

Der Mond ist aufgegangen,
Die goldnen Sternlein prangen
Am Himmel hell und klar;
Der Wald steht schwarz und schweiget,
und aus den Wiesen steiget
Der weisse Nebel wunderbar.

Die Naturschönheit sowie die Erhabenheit der Nacht, die bereits in dieser ersten Strophe geschildert wird, bringt nicht allein die Liebe zur Natur zum Ausdruck. Sie entspricht auch der Vorstellung der Empfindsamkeit, dass die Natur ein Ort ist, an dem der Mensch sein Innenleben entfalten kann.

Unterschiede zu Aufklärung und Sturm und Drang

Da die Empfindsamkeit zeitgleich zu Aufklärung und Sturm und Drang verlief, kannst du in ihr Bezugspunkte zu beiden Epochen finden. Gleichwohl ist sie recht leicht von beiden zu unterscheiden: Die Aufklärung wählte den Verstand als höchstes Ideal und war in seiner Ausrichtung sehr rational und moralisch. Der Sturm und Drang setzte dem als Gegenbewegung Gefühl und Fantasie entgegen.

Die Empfindsamkeit betonte ebenfalls das Gefühlvolle. Anders als der Sturm und Drang war sie aber keine Protestbewegung gegen die Aufklärung, sondern ergänzte deren rationale Ideen um das Empfindsame und Sentimentale. Sie begriff Gefühle nicht als Makel, sondern als Möglichkeit der Persönlichkeitsentwicklung. Der Sturm und Drang entwickelte diese Idee weiter und steigerte die Überhöhung des Gefühls, wie es in der Empfindsamkeit stattfand, zu einem regelrechten Gefühlsrausch. Er ist somit extremer und leidenschaftlicher als die Empfindsamkeit.

Aufklärung (1720–1800)Empfindsamkeit (1740–1790)Sturm und Drang (1765–1790)
Vernunft als IdealGefühle als IdealGefühle als Ideal
Glaube an den FortschrittGefühl ist kein MakelGeniekult
geistige Emanziaptionsentimental und rührseligrauschhaft und leidenschaftlich
RationalismusFrömmigkeittragisches Heldentum
Forderung nach GleichberechtigungLiebe zur NaturKritik am Feudalismus
Ergänzung der AufklärungGegenbewegung zur Aufklärung

Die Literatur der Empfindsamkeit

Die Literatur der Empfindsamkeit war von jungen Akademikern des Bildungsbürgertums geprägt. Ihre Texte zeichnen sich durch Schwärmerei und Überschwang aus. Ihnen ging es darum, innere Empfindungen nach außen zu kehren und damit auch die Leserschaft zu rühren. Dazu nutzen sie literarische Formen, mit denen sich Gefühle detailliert und nuancenreich darstellen ließen.

Die Lyrik der Empfindsamkeit

Die Lyrik war bei den Autoren und Autorinnen der Empfindsamkeit von allen literarischen Gattungen die beliebteste. Durch ihre sprachlichen und formalen Besonderheiten ist sie sehr gut dazu eignet, Empfindungen überschwänglich zum Ausdruck zu bringen, etwa durch einen hohen Einsatz von sprachlichen Mitteln oder Gestaltungsmittel wie Metrum und Reimschema.

Verbreitet waren vor allem Oden, Hymnen, Elegien und Idyllen – alles Gedichtformen, die in sich schon auf Überschwang ausgelegt sind. Im Mittelpunkt standen stets Gefühle. Folglich zeichnen die Gedichte dieser Strömung ein empfindsames lyrisches Ich, das sein Seelenleben offenbart. Typisch sind zudem Ausrufe wie „Oh“ und „Ah“. Das wichtigste Gedicht der Empfindsamkeit ist das Heldengedicht Messias von Friedrich Gottlieb Klopstock. Auf Grund seiner sprachlichen und formalen Gestaltung hatte es einen großen Einfluss auf die zeitgenössischen Dichterinnen und Dichter.

Die Epik der Empfindsamkeit

Briefromane sowie Reise- und Erlebnisberichte waren die Textsorten der Epik, die in der Empfindsamkeit dominierten. Durch sie war es den Autoren und Autorinnen möglich, individuelle Empfindungen ausufernd darzustellen. Einen literarischen Höhepunkt stellt in diesem Zusammenhang Goethes Briefroman Die Leiden des Jungen Werther dar. Es ist nicht nur das wichtigste Werk des Sturm und Drang. Die Schilderung von Werthers tiefsten, subjektiven Empfindungen entspricht auch den Ideen der Empfindsamkeit.

Die Dramatik der Empfindsamkeit

Auch in der Dramatik ging es gefühlvoll zu. An die Stelle der Komödie traten Lustspiele oder Rührstücke und damit Stücke, die die Zuschauer und Zuschauerinnen zu Tränen rühren sollten. Zudem gewann das bürgerliche Trauerspiel an Bedeutung. Wichtige Dramatiker waren August von Kotzebue und August Wilhelm Iffland.

Autor/Autorinbekannte Werke
Friedrich Gottlieb Klopstock (1724–1803)Messias, Die frühen Gräber
Matthias Claudius (1740–1815)Abendlied
Ludwig Heinrich Hölty (1748–1776)Gedichte
Sophie von La Roche (1730–1807)Die Geschichte des Fräuleins von Sternheim
August von Kotzebue (1761–1819)Die beiden Klingsberg

Auf einen Blick: Die Epoche der Empfindsamkeit

  • Zeitraum: 1740–1790
  • Einordnung: verläuft parallel zu Aufklärung und Sturm und Drang
  • bedeutende Ereignisse: die Französische Revolution
  • Merkmale: Gefühlsbetontheit, Frömmigkeit, Naturverbundenheit
  • Literatur: Ziel war es, auch die Leserschaft zu rühren.
  • Vertreter und Vertreterinnen: Friedrich Gottlieb Klopstock, Matthias Claudius, Ludwig Heinrich Hölty, Sophie von La Roche

Bildnachweis: Nicolas Lancret artist QS:P170,Q188172, Nicolas Lancret, La Camargo Dancing, c. 1730, NGA 96, CC0 1.0