Hintergründe

Der Prinz im Märchen: Nicht mehr als öde?

Der Prinz im Märchen Dornröschen

Abenteuer bestehen, gegen Ungeheuer kämpfen und durch die Welt ziehen das Dasein des Prinzen im Märchen scheint um einiges aufregender zu sein als das der Prinzessin. Doch ist das wirklich so? Wir haben uns den Prinzen im Märchen samt seiner Merkmale mal genauer angesehen.

Der Prinz im Märchen: Held und Abenteuer

Nachdem wir uns in unserer letzten Märchenkunde mit einer der populärsten weiblichen Märchenfiguren, der Prinzessin im Märchen, beschäftigt haben, werfen wir jetzt einen Blick auf ihr männliches Pendant: den Prinzen.

Während das markanteste Merkmal der Prinzessin ihre Schönheit zu sein scheint und es mit ihrem Image daher nicht zum Besten steht, tritt der Prinz als Held und Abenteurer auf. Er darf Drachen töten, gegen Ungeheur kämpfen und Prinzessinnen und ganze Reiche von Bösewichten befreien, Klingt aufregend – ist es aber eigentlich nicht. Denn der holde Märchenprinz ist vor allem eines: ziemlich öde. Das haben wir in unserer Folge 65 „Einfach öde“ festgestellt. Warum und was den Prinzen im Märchen ausmacht, könnt ihr hier nachlesen.

Schablonenhaft und stereotyp

Bekannte Märchenprinzessinnen zu benennen, ist leicht: Schneewittchen, Dornröschen oder Aschenputtel sind auch jenen ein Begriff, die mit Märchen nicht so viel anfangen können. Bekannte Märchenprinzen zu nennen, ist schon deutlich schwieriger. Das liegt zum einen daran, dass sie im Märchen nur selten einen Namen haben. Zum anderen kommen sie zwar oft als der große Retter daher, doch wenn man sich die Textsorte Märchen genauer ansieht, fällt schnell auf, dass es sich beim Prinzen oft um nicht mehr als eine Schablone handelt, die wir beliebig auf sämtliche Märchen auflegen können und die immer passt.

Jetzt ist die Schablonenhaftigkeit der Figuren ein wesentliches Merkmal von Märchen. Märchen verzichten auf ausgearbeitete Charaktere und arbeiten bewusst mit Stereotypen. Bei der näheren Betrachtung verschiedener Märchenfiguren fällt aber auf, dass es trotz dieser Stereotypisierung eine gewisse Varianz gibt. Beispiele dafür sind Nixen oder Feen. Und selbst die viel gescholtene Märchenprinzessin, die weit von einem modernen Frauenbild entfernt ist, weist in den engen Grenzen, in denen sie agieren darf, eine gewisse Vielfalt auf. Obwohl der Prinz aktiver ist als die Prinzessin, verhält sich das bei ihm ein wenig anders.

Merkmale des Prinzen im Märchen

Wenn wir einen Blick auf die typischen Merkmale des Prinzen im Märchen werfen, fällt auf, dass er als direkter Gegenpart zur Prinzessin im Märchen angelegt ist:

  1. Sein sozialer Status spiegelt oft seinen Charakter wieder: Ein echter Prinz ist gut, edel und schön.
  2. Besitzt er diese Tugendhaftigkeit nicht von Anfang an, erlangt er sie im Laufe der Geschichte.
  3. Er ist ein Jüngling.
  4. Er durchlebt einen Reifeprozess an der Schwelle von Jugend zum Erwachsenenalter.
  5. Er ist auf Brautsuche oder bekommt am Ende als Preis für seine Taten eine Prinzessin.

Diese Merkmale finden wir in ähnlicher, zum Teil auch identischer Form auch bei der Prinzessin im Märchen. Damit handelt es sich beim Prinzen um eine ebenfalls stark typisierte Figur, die zwar nicht so stark an sein weibliches Gegenstück gebunden ist wie die Prinzessin an ihn, der aber am Ende in der Regel trotzdem eine Braut bekommt, auch wenn die Prinzessin nur in einem Nebensatz erwähnt wird.

Arten von Prinzen im Märchen

Während es bei den Merkmalen von Prinz und Prinzessin im Märchen viele Übereinstimmungen gibt, lassen sich die Arten der Prinzessin nicht eins zu eins auf den Prinzen übertragen.

Wir haben in unserer Folge folgende Arten von Prinzen im Märchen ausgemacht:

  1. Der Prinz als Held
  2. Der Prinz als Erlöser
  3. Der Verwunschene oder Verzauberte

1. Der Prinz als Held

Seine Taten sind meist mutig und edel und führen dazu, dass Bösewichte besiegt werden. Das macht den Prinzen meist zum Helden des Märchens. Als solcher ist er oft die Hauptfigur, wie wir zum Beispiel in „Das Wasser des Lebens“ sehen. Doch Protagonist zu sein, ist nicht die Grundvoraussetzung für heldenhafte Taten. Er kann sie auch dann vollbringen, wenn er nur eine Nebenrolle spielt.

2. Der Prinz als Erlöser

Erlöser ist der Prinz im Märchen oft auch dann, wenn er als Held auftritt, denn sein Heldentum geht oft mit einer Erlösung oder Befreiung einher, denken wir zum Beispiel an Schneewittchen oder Dornröschen, wo er einfach aus dem Nichts auftaucht und mit der Erlösung der Prinzessin das Happy End herbeiführt.

Anders als die Prinzessin kann er also auch als kleine Nebenfigur, die bis ihrem Auftauchen keine Rolle in der Geschichte spielte, aktiv sein.

3. Der Verwunschene oder Verzauberte

Es gibt auch Fälle, in denen der Prinz selbst erlösungsbedürftig ist, beispielsweise in „Die Schöne und das Tier“, „Der Froschkönig“ oder „Das singende, klingende Bäumchen“, das wir euch in Folge 59 zum Thema „Erlösung im Märchen“ vorgestellt haben. Wenn er machtlos ist, darf die Prinzessin also aktiv werden und auch mal die Erlöserin sein.

Vergleich zwischen Prinz und Prinzessin

Beim Vergleich von Prinz und Prinzessin im Märchen fallen bestimmte Gemeinsamkeiten, aber auch einige Unterschiede auf. Gemein ist beiden, dass sie rollenkonform handeln: Die Prüfungen, die der Prinz bewältigen muss, zielen darauf ab, seine Charakterstärke zu testen und sind damit letztlich darauf ausgelegt, dass er ein guter König wird. Die Prinzessin erfüllt ebenfalls stets die ihr zugedachte Rolle: sie heiratet. Auch für den Prinzen ist die Brautsuche ein wichtiges Thema, an diesem Punkt verschmelzen diese beiden Märchenfiguren zu einer untrennbaren Einheit.

Doch auch wenn der Prinz dem ersten Anschein nach der aktivere Part ist, ist die Prinzessin in ihrer Ausgestaltung vielfältiger. Auch wenn sie nie komplett aus ihrer Rolle ausbrechen kann, sondern stets vom damaligen Rollenbild korrigiert wird, kann man dieser Figur nicht absprechen, dass es eine gewisse Varianz gibt. Der Prinz kommt noch viel mehr als Abziehbild daher. Möglicherweise ist das der weiblichen Erzähltradition geschuldet oder der Tatsache, dass die Prinzessin als Identifikationsfigur für Mädchen dienen sollte. Ob es nun an den schönen Kleidern liegt oder an veralteten Denkmustern, die noch immer in uns verankert sind: Mehr Strahlkraft hat die Prinzessin auf jeden Fall.

➛ Doch auch in Sachen Prinz gibt es Ausnahmen. In unserer Folge 65 „Einfach öde“ könnt ihr euch alles zum Thema Prinz im Märchen ausführlich anhören. Und ihr lernt ein russisches Märchen kennen, in dem der Prinz komplett aus der Rolle fällt und mit gängigen Geschlechterstereotypen bricht.


Bildnachweis: Gustave Doré creator QS:P170,Q6682, La Belle au Bois Dormant – Sixth of six engravings by Gustave Doré, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons