Hintergründe

Literaturwissen: Was ist eigentlich eine Sage?

Was ist eine Sage? Der fliegende Holländer

Eine Sage ist eine Textform, die dem Märchen nicht unähnlich ist. Doch wie lassen sie sich voneinander unterscheiden? Hier beantworten wir die Frage: Was ist eine Sage?

Was ist eine Sage?

Im Märchenpott dreht sich alles um das Thema Märchen. Um diese Textsorte zu verstehen, sprechen wir im Podcast nicht nur über einzelne Märchen und analysieren und diskutieren Aspekte zu einem bestimmten Oberthema. Immer versuchen wir auch das Märchen als Literaturform in sein literarisches Umfeld einzubetten. So schauen wir uns an, vor welchem zeitgeschichtlichen Kontext Märchen entstanden sind und tauchen zum Beispiel in die Literaturepochen von Romantik und Biedermeier ein.

Und auch die Abgrenzung zu anderen Textsorten ist wichtig, um zu verstehen, was Märchen eigentlich sind. Eine Textform, die dem Märchen recht ähnlich zu sein scheint, ist die Sage. Ihr haben wir uns in unsern Folgen 18 und 19 gewidmet und mit ganz viel Ruhrpottliebe Sagen aus dem Ruhrgebiet vorgestellt. Was eine Sage genau ist, welche Merkmale sie aufweist und wie sie sich vom Märchen unterscheidet, haben wir hier noch einmal ausführlich zusammengestellt.

Definition: Das ist eine Sage

Bei einer Sage handelt es sich um eine kurze Erzählung, deren Ursprünge tief in der Kulturgeschichte verwurzelt sind. Wie das Märchen so gehört auch die Sage zur literarischen Gattung der Epik. Als Teil des volkstümlichen Gedankenguts wurde sie ursprünglich mündlich weitergegeben. Sieberichtet von Orten, Personen und Ereignissen, die es wirklich gegeben hat. Vermischt werden diese realen Begebenheiten mit fiktiven Elementen.

Der Begriff “Sage” leitet sich vom althochdeutschen Wort “saga” ab, der “Gesagtes” bedeutet und durch die Brüder Grimm geprägt wurde. In ihrem Deutschen Wörterbuch sprechen sie von der „Kunde von Ereignissen der Vergangenheit, welche einer historischen Beglaubigung entbehrt“ und von „naiver Geschichtserzählung und Überlieferung, die bei ihrer Wanderung von Geschlecht zu Geschlecht durch das dichterische Vermögen des Volksgemüthes umgestaltet wurde“.

Die Entstehung der Sage

Die Ursprünge der Sage reichen bis in die Antike zurück und sind eng mit der Entwicklung von Mythen und Legenden verknüpft. Aus diesem Grund sind die Grenzen zwischen diesen drei Textformen oft fließend.

Durch ihre mündliche Erzähltradition konnten durch Sagen Geschichte, Ereignisse und Werte einer Gemeinschaft bewahrt und weitergegeben werden. Darüber hinaus hatten sie noch eine andere Funktion: Unerklärliches erklärbar machen.

Themen von Sagen

Sagen haben immer einen historischen Bezug. Das heißt, sie erzählen von einem Ereignis, dass in der Vergangenheit, zum Teil schon vor sehr langer Zeit, stattgefunden hat. So gehören außergewöhnliche Naturereignisse, traditionelle Bräuche oder regionale Besonderheiten zu den Themen, die von Sagen aufgegriffen werden. Vermischt mit fantasievollen Elementen verschmelzen subjektive Wahrnehmung und objektives Geschehen dann so miteinander, dass der Eindruck eines Wahrheitsberichts entsteht.

Merkmale einer Sage

Als Teil der Textgattung Epik weisen Sagen zum einen Merkmale auf, die für alle erzählenden Textsorten typisch sind: Sie haben einen Erzähler, der eine bestimmte Erzählperspektive einnimmt, sie haben ein bestimmtes Erzähltempo und sie sind in Prosa, also in fließender, ungebundener Sprache verfasst.

Zum anderen haben Sagen Merkmale, durch die sie eindeutig als solche zu erkennen sind. Diese Merkmale sind folgende:

  • mündliche Erzähltradition
  • lokaler Bezug
  • unbekannter Verfasser
  • historischer Bezug
  • spannende Handlung
  • übernatürliche Elemente
  • wahrer Kern

Mündliche Erzähltradition

Ihrem Ursprung nach sind Sagen Erzählungen, die mündlich von Generation zu Generation weitergegeben und erst später verschriftlicht wurden.

Lokaler Bezug

Sagen sind überall zu finden. Meist haben sie einen regionalen Bezug und erzählen von Dingen, die einen bestimmten Ort oder eine bestimmte Kultur betreffen. Das können zum Beispiel Bräuche, Traditionen und Glaubensvorstellungen der Gemeinschaft, aber auch die einzigartigen Merkmale einer Gegend sein, beispielsweise ein besonderes Gebäude oder eine auffällige Felsformation.

Neben lokalen Sagen gibt es auch Sagen, die überregional bekannt sind. Durch Wandersagen fanden bestimmte Stoffe und Motive Verbreitung, wurden von anderen Völkern und Kulturen übernommen und mit landschaftlichen und zeitbedingten Eigentümlichkeiten und Anspielungen vermischt.

Unbekannter Verfasser

Wann und wie eine Sage ihren Anfang nahm, lässt sich nicht feststellen. Das liegt daran, dass Sagen keinen Verfasser und keine Verfasserin haben. Wer sich eine Sage ausgedacht hat oder von wem sie zuerst erzählt wurde, ist heute in der Regel nicht mehr nachvollziehbar.

Historischer Bezug

Eine Sage bezieht sich auf einen konkreten Ort oder ein explizites Ereignis aus der Geschichte. Als solches sind Sagen tief in Kultur und Historie eines Ortes verwurzelt und Teil seiner kulturellen Identität.

Spannende Handlung

Typisch für eine Sage ist ihre spannende Handlung. Oft geht es um einen Helden, der Abenteuer bestehen muss, es tauchen übernatürliche Wesen auf oder es kommt zu unheimlichen Ereignissen. Ein anschauliches Beispiel hierfür sind zum Beispiel die Nibelungensage oder Der Rattenfänger von Hameln. Im ersten Teil der Nibelungensage erschlägt der mutige Siegfried einen Drachen, der Rattenfänger entführt die Kinder aus Hameln mit seinem Flötenspiel.

Übernatürliche Elemente

Oft tauchen in Sagen übernatürliche Wesen auf, die wir auch aus dem Märchen kennen, beispielsweise Hexen, Feen, Geister oder Nixen. Auch sprechende Tiere sind nicht ungewöhnlich. Und natürlich kommt auch gerne mal Magie zum Einsatz, denken wir zum Beispiel an den fliegenden Holländer, ein Geisterschiff, das fliegen und rückwärtssegeln kann.

Der Grund für den Einsatz übernatürlicher Elemente ergibt sich aus der Absicht von Sagen: Sie wollen außergewöhnliche Ereignisse erklären. Sagen waren ein Mittel, Unverständliches verständlich zu machen.

Wahrer Kern

Trotz all dieser fantastischen Ausschmückungen: Jede Sage hat einen wahren Kern. Sie bezieht sich immer auf reale Personen, Orte oder Ereignisse und beinhaltet konkrete Orts- und Zeitangaben sowie Personennamen.

Arten von Sagen

Wie auch bei Märchen so gilt auch für die Sage: die eine Sage gibt es nicht. Es gibt verschiedene Arten von Sagen, die sich vor allem darin unterscheiden, dass sie auf ein Detail besonderen Wert legen und dieses ausschmücken.

Sagehandelt von
GöttersageGöttern und ihren Beziehungen zu Menschen
HeldensageHelden und ihren Abenteuern
Volkssagedem alltäglichen Leben normaler Bürger*innen
Lokal- oder Heimatsageeinem bestimmten Ort oder einer Region
Wandersageähnlichen Motiven, die es in vielen verschiedenen Völkern mit leicht abgeänderten Details gibt
NatursageNaturgeistern
Geschichtssageeinem historischen Ereignis
Ätiologische Sageeiner Erklärung, warum z.B. landschaftliche Besonderheiten entstanden sind oder warum etwas einen bestimmten Namen trägt
Märchensagemärchenhaften Elementen

Nicht jede Sage ist immer nur ausschließlich einer dieser Formen zuzuornden. Vor allem bei der Volkssage kommt es sehr häufig zu einer Überlagerung mit Lokalsagen, Natursagen und ortsgebundener bzw. regionaler Geschichtssage mit dem Aspekt der Erklärung (Ätiologische Sagen).

Moderne Sagen

Sagen werden heute noch erzählt. Als moderne Sage werden sie auch als Großstadtlegende oder urbane Legende bezeichnet (und sind uns als solche schon mal in unserer Folge 51 „Angstlust“ begegnet). Diese erwecken den Eindruck, dass sie wahr sein könnten und dass sie einem Bekannten von einem Bekannten passiert sind. Oft handelt es sich bei Urban Legends um Gruselgeschichten, aber auch unglaubliche oder skurrile Ereignisse können Thema der Großstadtmythen sein. Sehr populär ist beispielsweise die Story über die Katze in der Mikrowelle: Eine Amerikanerin steckt ihre Katze zum Trocknen in die Mikrowelle, wobei das arme Tier qualvoll stirbt. Die Frau verklagt daraufhin den Hersteller auf Schadenersatz in Millionenhöhe, weil nirgendwo ein Warnhinweis gestanden habe, dass man Tiere nicht in die Mikrowelle stecken darf. Die Frau gewinnt den Prozess – und ist nun Millionärin.

Moderne Sagen zeigen, dass die Entwicklung dieser Textsorte nicht abgeschlossen ist. Auch die neuen Medien haben bereits Einfluss auf sie genommen: Als Creepy Pasta, einer Zusammensetzung der Begriffe “copy” und “paste”, verbreiten sich urbane Legenden inzwischen auch übers Internet und die sozialen Medien

Unterschiede zum Märchen

Anders als die Sage, die auf tatsächliche Ereignisse, Lokalitäten und Persönlichkeiten zurückgeht, erhebt das Märchen keinen Realitätsanspruch. Weitere Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Sage und Märchen sind:

MärchenSage
übernatürliche ElementeJaJa
Vermenschlichung von Tieren und PflanzenJaJa
RealitätsanspruchNeinJa
Gebundenheit an Ort und ZeitNeinJa
historischer BezugNeinJa
kein vorgeschriebenes Ende und damit nicht unbedingt ein Happy EndNeinJa

Unterschiede zu Mythos und Legende

Zwei weitere Textformen, denen die Sage sehr ähnlich ist, sind der Mythos und die Legende. Als Mythos bezeichnet man eine traditionelle Geschichte, in der göttliche oder übernatürliche Wesen auftreten und die eine kosmologische, religiöse oder metaphysische Erklärung liefert.

Eine Legende ist eine Geschichte, die von historischen oder halbhistorischen Charakteren handelt, die für herausragende oder heroische Taten bekannt sind und häufig einen religiösen Bezug haben. Nicht immer ist eine klare Trennung zwischen diesen Textsorten möglich. Ihnen allen ist aber gemein, dass sie unterschiedliche Aspekte des menschlichen Lebens widerspiegeln und Zeugnisse unserer Vergangenheit und unserer Kultur sind.

Beispiele für bekannte Sagen

In der Ruhrpott-Folge unseres Podcasts stellen wir euch drei Sagen aus dem Ruhrgebiet vor. Deutlich bekannter als diese drei Sagen sind:

  • Der Rattenfänger von Hameln
  • Die Lorelei
  • Die Nibelungensage
  • Die Jungfrau am Drachenfels
  • Rübezahl
  • Der fliegende Holländer

Auf einen Blick: Was ist eine Sage?

  • Sagen sind traditionelle Erzählungen.
  • Sie kombinieren reale Ereignisse mit übernatürlichen Elementen
  • Sagen beziehen sich meist auf spezifische historische oder lokale Begebenheiten.
  • Zu ihren Merkmalen gehören die mündliche Überlieferung, die Mischung aus Fakten und Fiktion sowie ihr historischer und lokaler Bezug.
  • Arten von Sagen sind historische Sagen, lokale Sagen, Märchensagen und thematisch fokussierte Sagen wie Tier-, Natur-, Geister- oder Heldensagen.

Bildnachweis: Charles Temple Dix artist QS:P170,Q21288653, The Flying Dutchman by Charles Temple Dix, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons