Wie politisch Literatur sein kann, zeigt sich in der Literaturgeschichte immer wieder. Besonders politisch war der Vormärz. Warum die Vormärz-Epoche so politisch war, dass sie sogar in einer Revolution gipfelte, lest ihr hier.
Der Vormärz: Epoche der Märzrevolution
Literaturepochen sind immer eine Reaktion auf die Ereignisse ihrer Zeit. Diese Reaktionen fallen ganz unterschiedlich aus: Die Romantik entfloh der Realität und zog sich in Fantasie- und Traumwelten zurück, die Weimarer Klassik richtete ihren Blick in die Vergangenheit und wählte die Antike zum Vorbild und die Aufklärung wollte mit ihrer rationalen Literatur einen erzieherischen Auftrag erfüllen. In manchen Epochen ging es ziemlich politisch zu. So zum Beispiel im Vormärz, einer Epoche, die sich aktiv mit den politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten ihrer Zeit auseinandersetzte und diese zu ändern versuchte. Ob ihr das gelang und was für die Vormärz-Epoche typisch ist, könnt ihr hier nachlesen.
Definition: Das ist der Vormärz
Die Epoche des Vormärz wird von zwei bedeutenden historischen Ereignissen begrenzt: Sie beginnt im Jahr 1815 mit dem Wiener Kongress und endet 1848 mit der Märzrevolution. Auch ihr Name hängt mit diesen Ereignissen zusammen. Die Bezeichnung “Vormärz” bezieht sich auf die Zeit vor dem März, also die Zeit vor der Revolution.
Die zeitliche Einteilung dieser Epoche ist nicht immer einheitlich. Die Epocheneinteilung von 1815 bis 1848 ist eher weit gefasst. Andere Definitionen datieren den Beginn des Vormärz auf das Jahr 1830 oder 1840. Das hängt mit der Bewegung „Junges Deutschland“ zusammen. Das war eine Strömung innerhalb des Vormärz, die 1815 begann und 1835 endete und in ihren Themen und Zielen mit dem Vormärz identisch war. Somit lässt sich die Epoche des Vormärz in zwei Phasen unterteilen: Junges Deutschland und dem eigentlichen Beginn des Vormärz 1840.
Zeitgeschichtliche Einordnung: die Restaurationsepoche
Junges Deutschland ist nicht die einzige Strömung, die parallel zum Vormärz verlief. Auch die Epoche des Biedermeier fällt in die Zeit von 1815 bis 1848. Gemeinsam bilden diese drei Epochen – Biedermeier, Junges Deutschland und Vormärz – die sogenannte Restaurationsepoche. Sie ist eine direkte Nachwirkung der Aufklärung. Diese hatte das gesamte politische System Europas tief erschüttert. Der Wiener Kongress besiegelte die endgültige Abkehr von den angestrebten Veränderungen. Die alte Ordnung aus Zeiten vor der Französischen Revolution sollte wiederhergestellt werden. Der Biedermeier auf der einen und Junges Deutschland und Vormärz auf der anderen Seite verkörpern die unterschiedlichen Reaktionen auf diesen Beschluss.
Auf die Restaurationsepoche folgt die Epoche des Realismus, die versuchte, die gescheiterte Märzrevolution zu verarbeiten.
Historischer Hintergrund
Um den Zeitgeist des Vormärz zu verstehen, ist es zunächst wichtig zu begreifen, was der Wiener Kongress für die Menschen bedeutete. Dafür ist ebenfalls ein Blick zurück auf die Aufklärung nötig. Sie begriff sich selbst als Aufbruch in eine neue, moderne Zeit, in der der Mensch sich von seinem Verstand leiten lassen und sich so von seiner Unmündigkeit befreien sollte. Ihre Forderungen nach Freiheit, Gleichheit und Toleranz formten ein neues Menschenbild, prallten aber auch auf konservatives Herrschertum. Diese Herrscher beschlossen auf dem Wiener Kongress die Restauration, was die Wiederherstellung jenes absolutistischen Systems bedeutete, das die Aufklärung hatte überwinden wollen.
Die Ideen und Hoffnungen der Aufklärung waren somit zerstört. Die Folge waren massive Proteste. Studenten und Bürgertum forderten die Gründung eines Nationalstaates mit liberal-demokratischen Werten. Doch sie bekamen die Karlsbader Beschlüsse (1819), die unter anderem die Überwachung von Universitäten, die Einschränkung der Pressefreiheit und das Verbot politischer Aktivitäten der Burschenschaften bestimmten. Daraufhin bildeten sich zwei Lager: Junges Deutschland und Vormärz protestierten gegen diese Einschränkungen. Die Anhänger und Anhängerinnen des Biedermeier hingegen nahmen die Beschlüsse fast gleichgültig hin und zogen sich ins Private zurück. Die zahlreichen Unruhen, wie die französische Julirevolution 1830 oder das Verbot der Werke des Jungen Deutschland (1835), gipfelten in der Märzrevolution 1848.
Die Strömungen der Restaurationsepoche auf einen Blick:
Biedermeier | Junges Deutschland | Vormärz |
unpolitisch | politisch motiviert | hochpolitisch |
Rückzug ins Private | Forderungen nach Demokratie und Gleichberechtigung | wollte den Umsturz des politischen Systems |
passiv und konservativ | aktiv und liberal | radikaler als Junges Deutschland |
komplette Ignoranz der politischen und gesellschaftlichen Situation | Kritik an Politk und Gesellschaftsordnung im Sinne der Aufklärung | Kritik an Politk und Gesellschaftsordnung |
Studentischer Widerstand
Für die Bevölkerung waren die Ergebnisse des Wiener Kongresses ein massiver Rückschritt. Es waren die Fürsten, die die Wünsche des Bürgertums nach nationaler Einheit und Gesellschaftsreformen verhinderten, es war wieder die oberste Gesellschaftsschicht, die gegen den Willen des Volkes zu ihren eigenen Gunsten Entscheidungen traf. Der Widerstand in der Gesellschaft wuchs. Vor allem junge Leute setzen sich lautstark für politische Veränderungen ein. Treibende Kraft war hier vor allem die Studentenschaft. 1815 schlossen sich Studenten aus verschiedenen deutschen Staaten zu sogenannten Burschenschaften zusammen – studieren konnten damals nur Burschen, weshalb wir hier auch nur von Studenten sprechen.
1817: das Wartburgfest
Mit der Gründung der Burschenschaften wollten die Studenten zeigen, dass Deutschland über die einzelnen Staaten hinweg geeint war und es möglich war, ein geeintes Deutschland zu schaffen. Das stärkte auch das Bewusstsein einer gemeinsamen deutschen Identität und weckte im gebildeten Bürgertum den Wunsch nach einem geeinten und freien Deutschland hervor.
Im Jahr 1817 trafen sich alle deutschen Burschenschaften auf dem Wartburgfest auf der Wartburg. Dort forderten sie gemeinsam einen Nationalstaat und eine Verfassung, die bürgerliche Freiheiten garantieren sollte.
1819: die Karlsbader Beschlüsse
Es dauerte nicht lange, bis die Fürsten diesen Widerstandsbewegungen Einhalt geboten. Mit den Karlsbader Beschlüssen im Jahr 1819 wurden die Burschenschaften verboten, Zeitungen zensiert und die Studenten und Schriftsteller verschärft bespitzelt und verfolgt. Meinungsäußerungen wurden unterdrückt und wer eine andere Meinung vertrat als die Herrschenden, wurde verhaftet und mit einem Berufsverbot bestraft.
Julirevolution und Hambacher Fest
Trotz Zensur und Unterdrückung war der Revolutionswille ungebrochen. Gestärkt durch die Julirevolution in Frankreich, die 1830 zum Sturz der Bourbonen-Dynastie führte, erhielt die liberale und nationale Bewegung im Deutschen Bund neuen Aufschwung. 1832 fanden sich im Hambacher Schloss rund 30.000 Menschen aus verschiedenen Ländern zum Hambacher Fest zusammen und forderten erneut die Bildung eines deutschen Nationalstaates und eine freiheitliche Verfassung sowie die Abkehr von der Fürstenherrschaft und die Einführung eines demokratischen Regierungssystems.
Hier wurde auch die Flagge in den Farben Schwarz, Rot und Gold zum Symbol der Einheit und Freiheit. Sie war zuvor das Symbol der Burschenschaften gewesen.
1844: Der Weberaufstand
Die Fürsten reagierten auf dieses Ereignis mit noch härteren Repressionen. Die Karlsbader Beschlüsse wurden soweit verschärft, dass öffentlich überhaupt nicht mehr über Politik gesprochen werden durfte.
Gleichzeitig wuchs der Pauperismus, also die Verelendung der Unterschichten. Die Bevölkerung bestand größtenteils aus Arbeitern und Arbeiterinnen, 80 Prozent der deutschen Bevölkerung gehörte zur Unterschicht. Durch das starke Bevölkerungswachstum waren viele Menschen arbeitslos und die Industrialisierung ging nur schleppend voran. Von einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen wurden die sozialen Missstände durch den Aufstand der Schlesischen Weber im Jahr 1844, als zahlreiche Heimweber in der Provinz Schlesien gegen die Lohnkürzungen der Verleger protestieren und die konkurrierenden Fabriken plünderten und demolierten.
1848: Die Märzrevolution
Die wachsenden politischen und wirtschaftlichen Missstände führten 1848 letztlich zur Deutschen Revolution, in der sich das liberale und nationalistische Bürgertum gegen die konservativ-reaktionäre Bewegung erhob. Auslöser war die Februarrevolution in Frankreich, die dazu führte, dass nach nur vier Tagen die französische Republik ausgerufen wurde. Nach diesem Vorbild forderte die Märzrevolution
- das Ende der Fürstenherrschaft,
- die Bildung eines deutschen Nationalstaates,
- ein Nationalparlament,
- eine gemeinsame Verfassung,
- ein neues Wahlrecht,
- ein Bürgerrecht sowie Grund- und Freiheitsrechte,
- öffentliche Gerichtsverhandlungen und Schwurgerichte,
- Meinungs- und Pressefreiheit,
- Volksbewaffnung und Vereidigung der Militärs auf die Verfassung und nicht auf den Herrscher,
- das Ende der Feudalherrschaft (für die Bauern) sowie
- höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen.
Alle diese Forderungen konnten jedoch nicht durchgesetzt werden. Die Revolution scheiterte 1849 vor allem wegen der großen Differenzen zwischen den Revolutionären. Die Verhandlungen der Nationalversammlung zogen sich lange hin, und während die Revolutionäre zu keiner Einigung gelangten, solidarisierten sich die Fürsten miteinander und schlugen die Revolution Stück für Stück nieder.
Einige Errungenschaften hatte die gescheiterte Revolution dennoch erzielt: die Aufhebung der Karlsbader Beschlüsse und die Einführung öffentlicher Gerichtsverhandlungen.
Die Merkmale des Vormärz
Die Vormärz-Epoche war somit eine sehr unruhige Zeit, die auch in der Literatur ihren Niederschlag fand. Und die Literatur des Vormärz war vor allem eines: politisch. Die Schriftsteller und Schriftstellerinnen begriffen ihre Werke als Instrument des Widerstandes gegen das politische System und die Obrigkeiten und forderten Demokratie, Gleichberechtigung, die Trennung von Staat und Kirche, Frauenrechte und Pressefreiheit.
Damit grenzt sich das Literaturverständnis des Vormärz von dem anderer Epochen ab. Es wandte sich gegen die Welt entrückten und verträumten Werke der Romantik und lehnte die Klassik als elitär ab. Die Autoren und Autorinnen des Vormärz beschäftigten sich mit der Gegenwart. Sie schrieben für das Volk, waren politisch aktiv und stellten ihre politische Botschaft in den Vordergrund. Ästhetische Kriterien waren für sie unbedeutend.
Die Merkmale des Vormärz im Überblick:
- politische Stellungnahme und Forderungen
- junge Autoren und Autorinnen
- Gegenwart im Fokus.
- Man wollte auf Ungerechtigkeiten aufmerksam machen und etwas bewegen.
- Um das einfache Volk zu erreichen, wurde die Sprache einfacher und es wurde mit Dialekten gearbeitet.
Literatur des Vormärz
Der Literatur des Vormärz kommt in erster Linie eine politische Funktion zu. Wie schon zur Zeit der Aufklärung war die Literatur auch hier das Instrument, um politische Ideen und Forderungen zu verbreiten.
Autorinnen und Autoren
Typisch für die Literaten und Literatinnen des Vormärz war ihre Tatkraft. Sie beteiligten sich aktiv an politischen Zusammenkünften und Protesten und wollten mit ihren Werken Ungerechtigkeiten nicht nur anprangern, sondern auch aktiv dagegen vorgehen. Damit veränderten sie die Rolle des Dichters und der Dichterin: Waren sie bisher Kunstschaffende gewesen, die Unterhaltung für ein ausgewähltes Publikum verfasst hatten, vermischten sich im Vormärz Kunst und Politik. Autorinnen und Autoren riefen zur Rebellion auf und wurden wegen ihrer politischen Aussagen mit Publikationsverboten und Zensur belegt.
So politisch die Literatur auch war: Die Vertreterinnen und Vertreter des Vormärz bildeten eine Minderheit. Die meisten Autoren und Autorinnen wandten sich dem Biedermeier zu. Seine Ideen dominierten die Zeit. Ein Ereignis, das dazu beitrug, war das Verbot aller Werke der Strömung Junges Deutschland am 10. Dezember 1835. Es veranlasste viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller, enttäuscht mit ihrer literarischen und damit auch gesellschaftspolitischen Arbeit aufzuhören. Gleichzeitig führte das Verbot zum Erstarken eines sich radikalisierenden Vormärz. Er kämpfte nun offen gegen die Macht von Kirche und Obrigkeit.
Autor*in | bekannte Werke |
Heinrich Heine (1797–1856) | Deutschland. Ein Wintermärchen |
Georg Büchner (1813–1837) | Woyzeck oder Leonce und Lena |
Bettina von Arnim (1785–1859) | Dies Buch gehört dem König |
August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798–1874) | Das Lied der Deutschen |
Georg Herwegh (1817–1875) | Gedicht eines Lebendigen |
Louise Aston(1814–1871) | Meine Emanzipation |
Die Lyrik des Vormärz
Es scheint auf den ersten Blick etwas überraschend, dass die bevorzugte literarische Gattung des Vormärz ausgerechnet die bildhafte Lyrik war. Da die Lyrik aber sehr melodisch ist, ließen sich hier politische Gedichte und Lieder kreieren, die Veränderungen forderten. Eines der bekanntesten Beispiele ist das Gedicht „Die schlesischen Weber“ von Heinrich Heine, einem der bedeutendsten Dichter des 19. Jahrhunderts. Das Weberlied bezieht sich auf den weiter oben bereits erwähnten Weberaufstand von 1844. Heine kritisiert darin die politischen Umstände und die Ausbeutung der Weber.
Im düstern Auge keine Träne
Sie sitzen am Webstuhl und fletschen die Zähne:
Deutschland, wir weben dein Leichentuch,
Wir weben hinein den dreifachen Fluch –
Wir weben, wir weben
Heine lässt bereits in dieser ersten Strophe die Weber selbst zu Wort kommen. Sie sind das “Wir”, die unterdrückte Gruppe, die hier eine Stimme erhält. Ihr dreifacher Fluch richtet sich gegen die Autoritäten, gegen die sich der Vormärz auflehnte:
Ein Fluch dem Gotte, zu dem wir gebeten
In Winterskälte und Hungersnöten;
[…]
Ein Fluch dem König, dem König der Reichen,
Den unser Elend nicht konnte erweichen
[…]
Ein Fluch dem falschen Vaterlande,
Wo nur gedeihen Schmach und Schande
[…]
Epik
Die Epik des Vormärz ist vor allem kurz. Reiseberichte, Memoiren, journalistische Textsorten, Briefe, Skizzen und Feuilletons waren die gängigen epischen Textsorten, weilo sich mit ihnen die politische Realität darstellen ließ. Bekannte Beispiele sind Ludwig Börnes Briefe aus Paris und Heinrich Heines Deutschland. Ein Wintermärchen.
Dramatik
Auch das Drama war im Vormärz sozialkritisch und politisch. Ein wichtiger Vertreter ist Georg Büchner mit seinem Revolutionsdrama Dantons Tod oder Woyzeck, das die sozialen Missstände und den Unterschied zwischen Arm und Reich deutlich aufzeigt.
Der Vormärz: Epoche im Überblick
- Zeitraum: 1815–1848
- Einordnung: zeitgleich zu Biedermeier und Junges Deutschland
- bedeutende Ereignisse: Karlsbader Beschlüsse und Märzrevolution
- Merkmale: Widerstand gegen das politische System und die Obrigkeiten
- Literatur: Vermischung von Kunst und Politik
- Vertreter /-innen: Heinrich Heine, Georg Büchner, August Heinrich Hoffmann von Fallersleben
Bildnachweis: Unknown authorUnknown author, Ereignisblatt aus den revolutionären Märztagen 18.-19. März 1848 mit einer Barrikadenszene aus der Breiten Strasse, Berlin 01, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons