Hintergründe

Die Biedermeier-Epoche: konservativ und häuslich

Biedermeier Familienbild

Der deutsche Biedermeier ist noch heute der Inbegriff des Spießbürgertums. Seinen Ursprung hat er in der Biedermeier-Epoche, die vor allem durch ihren Rückzug ins Private und Häusliche gekennzeichnet ist. Warum das so war, lest ihr hier.

Die Biedermeier-Epoche: Rückzug in die heile Welt

Trautes Heim, Glück allein, es ist schön Zuhaus‘ zu sein“. Diese Liedzeile stammt zwar aus dem Disney-Klassiker „Das Dschungelbuch“ aus dem Jahr 1967, die Vertreter und Vertreterinnen des Biedermeier hätten sie aber wohl sofort mit gutbürgerlicher Zurückhaltung mitgesungen. Denn typisch für den Biedermeier ist folgende Szene: Eine gemütlich eingerichtete Wohnstube. Die Möbel sind elegant und weich gepolstert, verzierte Rahmen mit Familienbildern schmücken die Wände. Vater und Mutter sitzen am Tisch. Er, das Familienoberhaupt, sie neigt den belockten Kopf mit mildem Blicke zu den fünf Kindern, die sich um sie scharen, adrett gekleidet in Kleidchen und Schürzchen.

Wenn ihr jetzt denkt: Puh, irgendwie ganz schön spießig, dann habt ihr die Epoche des Biedermeier auf den Punkt gebracht. Denn diese Epoche war genau das, was der Name vermuten lässt: ziemlich bieder. Doch die Menschen des Biedermeier waren nicht einfach nur große Langweiler. Ihre Biedermeierlichkeit hatte einen Grund. Welcher Grund das ist, welche Merkmale für die Epoche typisch sind und wie diese sich in der Literatur äußerten und zum Beispiel auch die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm beeinflusst haben, lest ihr hier.

O edles Haus! O feine Sitten!
Wo jedes Gift im Keim erstickt,
Wo nur gepflegt wird und gelitten,
Was gern sich duckt und wohl sich schickt.

Ludwig Pfau, „Herr Biedermann“

Defintion: Das ist der Biedermeier

Das Adjektiv „bieder“ ist noch heute in der deutschen Sprache gebräuchlich und nicht unbedingt mit den besten Assoziationen verknüpft. Es steht für Naivität, Konservatismus und Kleingeistigkeit – und genau das findet auch in der Gedankenwelt der Biedermeier-Epoche Ausdruck.

Der Begriff des Biedermeier geht auf die fiktive Figur des schwäbischen Dorfschullehrers Gottlieb Biedermaier zurück. Er wurde vom Dichter Ludwig Eichrodt (1827–1892) erfunden und ist eine Karikatur des damaligen Bürgers: spießig, konservativ und völlig desinteressiert am politischen Geschehen. Dieses Bild hat sich bis heute erhalten. Der deutsche Biedermeier ist noch immer ein reaktionärer Kleinbürger, der das Häusliche und Private schätzt und sich gegen Veränderungen sträubt.

Zeitgeschichtlicher Kontext

Die Literaturepoche des Biedermeier fällt in die Zeit zwischen dem Wiener Kongress in den Jahren 1814/15 und der Märzrevolution 1848 und wird somit von zwei wichtigen historischen Ereignissen umrahmt. Gemeinsam mit den zeitgleich verlaufenden Strömungen Junges Deutschland und Vormärz bildet der Biedermeier die Literatur der sogenannten Restaurationsepoche.

Die Restaurationsepoche war geprägt von der Rückkehr zur Monarchie und die Abwehr liberaler und nationaler Bewegungen nach den Napoleonischen Kriegen. Es ging darum, die politische Ordnung vor 1789 wiederherzustellen, was jedoch auf Widerstand stieß und in der Revolution von 1848 gipfelte.

Der Wiener Kongress

Ausgangspunkt für den Beginn des Biedermeieres ist ein bedeutendes historisches Ereignis: der Wiener Kongress in den Jahren 1814/15. Der Wiener Kongress, der vom 18. September 1814 bis zum 9. Juni 1815 stattfand, ordnete nach Napoleons Niederlage in den Koalitionskriegen Europa neu – nur das neu nicht wirklich neu war. Denn „neu“ bedeutete: zurück zum Alten.

Die politische Ordnung in Europa sollte wieder so hergestellt werden, wie sie es vor der Französischen Revolution gewesen war. Oberstes Ziel dabei: die Wiedereinführung der Monarchie. Um dieses Ziel umzusetzen, schlossen sich die konservativen Herrscher Preußens, Österreichs und Russlands zur „Heiligen Allianz“ zusammen und machten die Ideen der Französischen Revolution und der Aufklärung mit ihrem Bestreben nach Gleichheit und Freiheit zunichte.

Die Karlsbader Beschlüsse

Ein wichtiges Instrument der Restauration waren die Karlsbader Beschlüsse von 1819. Sie waren eine Reaktion auf den Widerstand in der Bevölkerung und umfassten Maßnahmen wie die Zensur der Presse, die Überwachung der Universitäten und die Verfolgung liberaler und nationaler Aktivisten. Studentenverbindungen wurden verboten. Um die vorrevolutionäre Ordnung wieder herzustellen, sollte jegliche Opposition unterdrückt werden. Die Folge war wachsendes Misstrauen gegenüber der Obrigkeit.

Die Merkmale des Biedermeier

Insgesamt ist die Epoche des Biedermeier also eine Zeit, in der Kritik am System und politische Mitsprache verboten waren. Statt dagegen zu protestieren und sich gegen die Unterdrückung zu wehren, zog sich die Mehrheit der Bevölkerung enttäuscht ins Private zurück, wo sie sich in ihrer eigenen kleinen Welt vor den Konflikten und Unruhen abschottete. Somit ist der Biedermeier eine direkte Reaktion des Bürgertums auf die Abschaffung neu gewonnener demokratischer Rechte durch adlige Alleinherrscher.

So politisch die Hintergründe, die zur Entstehung dieser Epoche führten, auch waren: der Biedermeier war es nicht. Das Bürgertum zog sich komplett von der Politik und aus dem öffentlichen Leben zurück ins eigene Heim. Das häusliche, private Leben stand im Mittelpunkt und fand hauptsächlich innerhalb der von traditioneller Rollenverteilung bestimmten Familie statt.

Die Merkmale des Biedermeier sind:

  • Rückzug ins Private
  • Resignation
  • keinerlei politisches Engagement
  • Akzeptanz der gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten
  • Sehnsucht nach heimischer Idylle
  • Familie als Idealbild
  • tiefe Naturverbundenheit
  • Religiosität

Grund für die Hinwendung zum häuslichen Idyll und einem beschaulichen Familien- und Privatleben war, dass die Menschen das Gefühl hatten, an der politischen Situation nichts ändern zu können. Turbulente Jahrzehnte lagen hinter ihnen: Die Französische Revolution zum Ende des letzten Jahrhunderts hatte das gesamte europäische Herrschaftssystem erschüttert und den Menschen das Gefühl gegeben, dass neue, moderne Zeiten anbrechen würden. Keine dreißig Jahre später waren all die mit dieser Euphorie verknüpften Hoffnungen auf Veränderungen dahin. Die Menschen wurden in ihren Rechten beschnitten und alles sollte wieder so werden, wie das, was man einst hatte überwinden wollen. Es blieb ein Gefühl der Machtlosigkeit und so nahmen die Menschen die politische Situation widerstandslos hin.

Weitere Strömungen der Restaurationsepoche

Wie bereits angesprochen, war der Biedermeier nicht die einzige Strömung der Restaurationsepoche. Er war jedoch die dominanteste. Der Biedermeier prägte nicht nur die Literatur, sondern bildete eine eigenen Kultur des Bürgertums, die sich in Musik, Architektur, Mobiliar und Mode widerspiegelte.

Junges Deutschland

In seinen Ausprägungen ist der Biedermeier das komplette Gegenteil zu den zeitgleich verlaufenden Strömungen Vormärz und Junges Deutschland. Wo der Biedermeier konservativ und duldsam war und sich passiv in seine kleine heile Welt zurückzog, protestierten Junges Deutschland und Vormärz aktiv gegen Politik und Obrigkeit.

Junges Deutschland war eine Protestbewegung, in der sich junge, liberal gesinnte Autoren und Autorinnen zusammenschlossen und die sozialen Missstände ihrer Zeit anprangerten. Wegen ihrer Forderungen nach einer neuen, demokratischen Ordnung wurde die Bewegung verboten. Somit ist Junges Deutschland nur eine recht kurze Strömung, die von 1830 bis 1835 dauerte. Ihre Ideen wurden jedoch von einem immer radikaler werdenden Vormärz weitergetragen.

Vormärz

Der Vormärz setzte die Ideale der Aufklärung, also die Forderung nach Gleichberechtigung und Demokratie, fort. Typisch ist eine starke Politisierung der Literatur, die das System nicht nur kritisieren, sondern ändern wollte. Die Literatur des Vormärz wandte sich gegen die verträumten und weltentrückten Werke der Romantik und lehnte die Weimarer Klassik als elitär ab. Die Literaten und Literatinnen schrieben für das Volk, waren politisch aktiv und stellten ihre politische Botschaft in den Vordergrund. Ästhetische Kriterien waren nicht wichtig.

Die Strömungen der Restaurationsepoche:

BiedermeierJunges DeutschlandVormärz
unpolitischpolitisch motivierthochpolitisch
Rückzug ins PrivateForderungen nach Demokratie und Gleichberechtigungwollte den Umsturz des politischen Systems
passiv und konservativaktiv und liberalradikaler als Junges Deutschland
komplette Ignoranz der poltischen und gesellschaftlichen SituationKritik an Politk und Gesellschaftsordnung im Sinne der AufklärungKritik an Politk und Gesellschaftsordnung

Mit Junges Deutschland und Vormärz hatte der Biedermeier nichts zu tun. Seine Vertreterinnen und Vertreter waren nicht politisch aktiv, sondern ergaben sich in ihr Schicksal und verschlossen die Augen vor den politischen und sozialen Problemen ihrer Zeit. Ihre Ideale des Guten und Schönen knüpften an die der Romantik und der Weimarer Klassik an, auch wenn sie dabei nicht so weltentrückt waren wie das romantische Weltbild.

Unterschiede zur Romantik

In seiner zeitlichen Einordnung überschneidet sich der Biedermeier mit einer weiteren Epoche: der Romantik (1798 – 1840). Da der Biedermeier in einigen Punkten Bezug zur Gedankenwelt der Romantik nahm und sich an ihr orientierte, gilt er auch als Romantik des Bürgertums. In vielen Aspekten unterscheidet er sich jedoch ganz grundlegend von ihr.

BiedermeierRomantik
RückzugProtest gegen Aufklärung und Klassik
Gefühl in MaßenGefühl als höchstes Gut
naturverbundenNatur als Ort der Flucht
Reiz der Enge: Zurückgezogenheit, BeschaulichkeitAblehnung der kleinbürgerlichen Engstirnigkeit
„klein“: bürgerlich, privat, häuslich„weitläufiger“: schwärmerisch, gefühlvoll

Insgesamt war der Biedermeier deutlich angepasster als die Romantik. Zwar praktizierte auch er eine Art Weltflucht, allerdings nicht so exzessiv und schwärmerisch wie die Romantik. Statt sich den eigenen Gefühlen hinzugeben und das eigene Ich in den Vordergrund zu stellen, passte man sich der Gemeinschaft an und machte Heim und Familie zum höchsten Gut.

Die Literatur des Biedermeier

Getragen wurde der Biedermeier vom Bildungsbürgertum. Dieses war sehr interessiert an Kultur, schätzte Musik, Malerei und Dichtkunst, ging ins Theater und nahm an Lesezirkeln teil. Denn Kunst und Kultur vermittelten Behaglichkeit und konnten in den eigenen vier Wänden oder in den damals beliebten Salons und Kaffeehäusern konsumiert werden. Sie hielten die Illusion aufrecht, die schwierigen Verhältnissen mit Ordnung, dem Schaffen eines sicheren Heims und einem Rückzug aus der Welt in die Natur bewältigen zu können. Gleichzeitig konnten die Menschen so die Augen vor der politischen Realität, aber auch vor der Armut und dem sozialen Elend verschließen, in die die Industrialisierung viele weniger privilegierte Menschen stürzte.

Das schlägt sich auch in der biedermeierlichen Literatur nieder. Anders als im Vormärz hatten die Menschen des Biedermeier kein Interesse an politischen Schriften. Literatur sollte vielmehr ästhetisch sein und sich in das familiäre Idyll eingliedern. Folglich verfassten die Autorinnen und Autoren friedliche und harmonische Texte, die das Bürgertum beim familiären Kaffeekränzchen oder in Lesezirkeln lesen und rezitieren konnte. Aus diesem Grund bestimmten vor allem literarische Kleinformen die Literatur der Biedermeierzeit.

Die Epik des Biedermeier

In der literarischen Gattung der Epik waren vor allem kurze Formen wie Kurzgeschichten und Novellen, Briefe, Tagebücher und Reiseberichte verbreitet. Die bekannteste Novelle aus der Biedermeierzeit ist „Die Judenbuche“ von Annette von Droste-Hülshoff. Ihr zentrales Thema ist ein klassisches Biedermeierthema: die Abwendung von der Welt.

Märchen im Biedermeier

Aber auch eine andere epische Textsorte war im Biedermeier sehr beliebt: Märchen. Diese Textsorte erlebte in dieser Zeit eine Neuordnung. Nicht nur, dass Märchen durch die Brüder Grimm erstmals als Literaturform gesammelt und verschriftlicht worden waren. Durch sie erfuhr die bereits seit dem 17. Jahrhundert äußerst populäre Textform entscheidende Änderungen. Denn das Märchen als pädagogische Erzählung für Kinder entwickelte sich erst in dieser Zeit. Zuvor waren Märchen Werke für Erwachsene gewesen, aus denen Jacob Grimm nach Erscheinen der ersten Auflage der Kinder- und Hausmärchen alle expliziten Bezüge zu gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen sowie anzügliche und eindeutig sexuelle Anspielungen entfernte, um dem biedermeierlichen Publikum zu gefallen.

Und so blieben Märchen als Kindergeschichten für die biedermeierliche Leserschaft interessant, denn sie betonen biedermeierliche Tugenden wie Fleiß und Bescheidenheit, sind unpolitisch und bieten einfache Geschichten in einer immer komplizierter und komplexer werdenden Welt. So wie Märchen in der Romantik die Flucht in Fantasie- und Traumwelten waren, so boten Märchen im Biedermeier eine Zuflucht in eine idyllische, heile Welt, in der immer alles gut wird und die nach alten Normen und Werten funktioniert.

→ Mehr über den Einfluss des Biedermeier auf Märchen könnt ihr in unserer Podcast-Folge 69 „Von Hochmut, Völlerei und tödlicher Neugier“ hören.

Die Dramatik des Biedermeier

Die Dramatik des Biedermeier war von den melancholisch-pessimistischen Werken von Franz Grillparzer, Ferdinand Jakob Raimund und Johann Nepomuk Nestroy geprägt. So findet sich in den Dramen dieser Epoche eine Hinwendung zum Düsteren. Typisch war zudem das Rührstück, dessen Funktion es war, die Zuschauer zu Tränen zu rühren. Fröhlicher ging es in den komödiantischen Stücken zu, etwa in den sehr übersteigerten Possen von Johann Nestroy.

Die Lyrik des Biedermeier

Die Lyrik des Biedermeier ist insgesamt schlicht gehalten, es sollte eben nicht komplex und kompliziert sein. Thematisch beschäftigten sich die Gedichte, die oft in Zyklen veröffentlicht wurden, mit dem persönlichen Rückzug, individuellen Naturerfahrungen und Religiosität. Zu den bekanntesten Lyrikern und Lyrikerinnen des Biedermeier gehören Annette von Droste-Hülshoff, Franz Grillparzer und Eduard Mörike. Von Mörike stammt das berühmte Frühlingsgedicht „Er ist’s“ aus dem Jahr 1829:

Frühling lässt sein blaues Band 
Wieder flattern durch die Lüfte; 
Süße, wohlbekannte Düfte 
Streifen ahnungsvoll das Land. 
Veilchen träumen schon, 
Wollen balde kommen. 
Horch, von fern ein leiser Harfenton! 
Frühling, ja du bist’s! 
Dich hab’ ich vernommen.

Dieses Gedicht ist exemplarisch für die tiefe Naturverbundenheit sowie die einfache, aber bildhafte Sprache der Biedermeier-Epoche. Das Gedicht ist leicht zu lesen und sofort verständlich, dank des simplen Versmaßes und Reimschemas ist es schnell zu rezitieren. Mit seinen neun Versen ist das Gedicht zudem recht kurz und die friedvolle und harmonische, beinah liebliche Atmosphäre ist ebenfalls typisch Biedermeier.

Wichtige Autoren und Autorinnen der Biedermeier-Epoche

Autor oder Autorinbekannte Werke
Annette von Droste-Hülshoff (1797–1848)Die Judenbuche
Eduard Mörike (1804–1875) Er ist’s
Franz Grillparzer (1791–1872)Der Traum ein Leben
Adalbert Stifter (1805–1868)Nachsommer

Auf einen Blick: die Biedermeier-Epoche

  • Zeitraum: 1815–1848
  • Einordnung: Teil der Restaurationsepoche, zeitgleich zu Vormärz und Junges Deutschland
  • bedeutende Ereignisse: Wiener Kongress, Karlsbader Beschlüsse und Märzrevolution
  • Merkmale: Rückzug ins Private, Resignation, Familie, heimische Idylle
  • Literatur: literarische Kleinformen wie Novellen und Märchen
  • Vertreter /-innen: Annette von Droste-Hülshoff, Eduard Mörike, Franz Grillparzer

Bildnachweis: Giuseppe Tominz artist QS:P170,Q532760, Jožef Tominc – Dr. Frušić z družino, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons