Dass Märchen ziemlich grausam sein können, ist inzwischen hinlänglich bekannt. Bestes Material also für richtig schöne Märchenhorrorfilme. Doch wie schön ist das, was das Horrorgenre in Sachen Märchen im Angebot hat? wir haben es uns angeschaut.
Märchenhorrorfilme: den Horror des Märchens nutzen
Der Märchenhorrorfilm The Ugly Stepsister bietet nicht nur richtig guten Body Horror, sondern ist auch eine geniale Vereinigung des Horror- und des Märchenfilmgenres. Denn Horrorelemente finden wir in Märchen mehr als genug, angefangen von bekannten Märchen wie „Schneewittchen“ oder „Hänsel und Gretel“ bis zu den richtig krassen Geschichten wie „Von dem Wacholderbaum„, „Blaubart“ oder „Wie Kinder Schlachtens miteinander gespielt haben„.
Darüber hinaus tut dieser Film beiden Genres gut, haben doch beide mit einem bestimmten Image zu kämpfen, das sie nicht loswerden: Horrorfilme gelten als stumpfsinnig und inhaltsleer, Märchenfilme plätschern stets als seichter Kinderfilm vor sich hin. Das wird beiden Genres nicht gerecht.
Horror und Märchen: Zwei verkannte Genres
Horror ist tatsächlich äußerst vielseitig und bietet nicht nur zahlreiche Subgenres. Er stellt durchaus auch genug Raum für tiefsinnigere, gesellschaftskritische und nachdenkliche Momente zur Verfügung. Märchen wiederum sind grundsätzlich keine Kindergeschichten. Warum sie trotzdem immer wieder nur als Kinderfilme adaptiert und ihre sozialen, tiefenpsychologischen oder historischen Elemente ebenso ignoriert werden wie ihre Horror- und Gruselelemente? Vielleicht weil Märchen dem grundsätzlichen Missverständnis unterliegen, es handle sich um veraltete Kindergeschichten. The Ugly Stepsister beweist zum Glück: Märchen sind alles andere als das.
Märchenhorrofilme: Von Trash bis Meisterwerk
Es ist nicht so, dass The Ugly Stepsister die erste Horrorfilmadaption eines Märchens ist. Qualitativ ist sie aber sicher eine der besten. Wir haben uns mal umgeschaut, was es in Sachen Märchenhorrofilme noch so gibt und haben euch hier eine Übersicht zusammengestellt – von Trash bis Meisterwerk.
Snow White: A Tale of Terror
An diesem Film scheiden sich die Geister: Snow White: A Tale of Terror ist ein Horrorfantasyfilm aus dem Jahr 1997, der Antagonsitin Sigourney Weaver sowie Makeup und Kostümdesign je eine Emmy-Nominierung einbrachte. Und alle drei sind durchaus sehenswert. Der Film bleibt aber unter seinen Möglichkeiten, auch weil er es ihm nicht gelingt, der Vorlage gerecht zu werden. Denn damit, einem Märchen allein ein paar Horrorelemente überzustülpen, ist es nicht getan.
Das Grauen liegt in der Geschichte selbst. Dieses herauszuarbeiten gelingt diesem Film trotz der ein oder anderen gelungenen Szene aber nicht.
The Ugly Stepsister
Ganz anders der schon erwähnte The Ugly Stepsister. Dieser Film weiß nicht nur wie Body Horror funktioniert. Er hat auch seine literarische Vorlage und das Genre Märchenfilm verstanden und begreift es meisterlich, diese Fäden zusammenzuführen und zu einem Gesamtkunstwerk zu verweben. Alle drei Elemente wirken als Ganzes und zeigen, was in Märchen wirklich drinsteckt: Es braucht keinen von außen aufgesetzen Horror. Davon bringen Märchen genug mit. Vielmehr geht es darum, das Grauen der Vorlage klug herauszuarbeiten. Dann entsteht nicht bloß ein platter Horrorfilm, sondern ein Film mit Tiefgang und erschreckender Aktualität. Denn die märchenhafte Kulisse von The Ugly Stepsister kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieses Märchen alles andere als veraltet ist. Es ist brutal modern. Und das ist der eigentliche Horror.
Das Märchen der Märchen
Die 2015 erschienene italienisch-französisch-britische Koproduktion Das Märchen der Märchen basiert auf der in den Jahren 1634 bis 1636 erschienenen Märchensammlung Pentameron des italienischen Schriftstellers Giambattista Basile. Der Film greift auf die drei darin enthaltenen Geschichten „Der Floh“, „Die hinterlistige Hirschkuh“ und „Die entdeckte Alte“ zurück, indem er die drei Märchen parallel erzählt und lose miteinander verwebt. Verbunden sind die einzelnen Episoden von der Dualität von Leben und Tod, von Geburt und Sterben und von de Schönem und dem Hässlichem – also von den großen Gegensätzen, die wir in fast jedem Märchen finden.
Der Film ist originell, fantasievoll und prächtig ausgestattet. Ob einem die Erzählweise zusagt, ist Geschmackssache.
Hänsel und Gretel: Hexenjäger
Der Film Hänsel und Gretel: Hexenjäger aus dem Jahr 2013 entstand in einer Zeit, in der einige Märchen neu erzählt wurden. Die weiter unten noch folgende „Rotkäppchen„-Variante Red Riding Hood gehört ebenso dazu wie die beiden Schneewittchen-Neuverfilmungen Spieglein Spieglein mit Julia Roberts und Snow White and the Huntsman mit Kristen Stewart.
Ausgangspunkt von Hänsel und Gretel: Hexenjäger ist das Grimm-Märchen, aus dem die Geschwister ihren Beruf ableiten: Als Hexenjäger*innen ziehen sie mit Kettensäge und Armbrust los, um Kinder, die von magierinnen in einen dunklen Wald entführt wurden, zu befreien. Heraus kommt Splatter-Action, die sich selbst nicht allzu ernst nimmt und vor allem unterhalten will.
Hansel und Gretel
Das unheimliche Haus im Wald, das Streuen einer Brotkrumenspur und das Verzehren süßer Leckereien – einige Grundmotive von „Hänsel und Gretel“ sind in dem südkoreanischen Film Hansel und Gretel von 2007 durchaus zu finden. Ansonsten ist die Geschichte von einem Jungen, der nach einem schweren Autounfall allein in einem dunklen Wald erwacht und von einem Mädchen zu einem Haus geführt wird, aus dem es kein Entkommen zu geben scheint, allerdings derart verfremdet, dass er phasenweise nichts mehr mit dem eigentlichen Märchen zu tun hat.
Insgesamt hat der Film eine mysteriöse Atmosphäre, schafft es aber nicht, seine Mysterien zu lösen. Viele interessante Ansätze werden nicht auserzählt, sodass man als Zuschauer*in am ende etwas ratlos zurückbleibt.
Gretel und Hänsel
Hänsel und Gretel zum Dritten, diesmal aber ist Gretel die Hauptfigur und ihr kleiner Bruder Hänsel verkommt zum nervigen Anhängsel. Der Film will eine neue, weibliche Perspektive des Märchens sein, scheitert aber an einer schlecht geschriebenen Frauenfigur. Denn warum die angeblich so schlaue Gretel sich so dumm verhält, ist schwer nachvollziehbar. Eine zähe Erzählweise, der fehlende Spannungsbogen und eine enttäuschende Auflösung bringen aus einer gar nicht so uninteressanten Idee aber leider nur gähnende Langeweile hervor.
Red Riding Hood: Unter dem Wolfsmond
Der Titel ist eigentlich etwas irreführend, denn mit einem Märchen hat diese Rotkäppchen-Version nichts zu tun. Vielmehr handelt es sich hierbei um einen Werwolffilm, der zwar mit atmosphärisch inszenierter Waldszenerie punkten kann, ansonsten aber nicht mehr ist als ein Teenieliebesfilm mit Thrillerelementen und einem Look, der märchenhaft-düster anmuten soll, letztlich aber auch nicht darüber hinwegzutäuschen vermag, dass dieser Film im Jahr 2011 im Zuge des Twiglight-Hypes entstanden ist. Allerdings gelingt es dem Film, falsche Fährten zu legen und so durchauchs eine gewisse Spannung aufzubauen – damit hat er der gesamten Twilight-Trilogie schon mal einiges voraus.
Brothers Grimm
Dass die Brüder Grimm nicht von Dorf zu Dorf gezogen sind und so ihre Märchen gesammelt haben, haben die beiden bewusst verschwiegen. In der Verfilmung „Brothers Grimm“ von 2005 sind sie keine Sprachforscher, sondern Geisterjäger, die den Spuk, von den sie andere befreien, selbst inszenieren. Doch dann treffen sie auf eine echte Hexe…
Was man dem Film lassen muss: Er spart nicht an außergewöhnlichen Ideen. Doch das ist auch sein Problem. Denn heraus kommt ein wirrer Mix, der teilweise einfach nur lächerlich wirkt. Und die Brüder Grimm sind leider nicht ansatzweise sympathisch, sondern einfach nur extrem nervig.
Baba Yaga
Die Baba Yaga ist eine Märchenfigur der slawischen, isnbesondere der russischen Folklore und dort als Hexe oder Todesgöttin bekannt. Sie wohnt in einer Hütte auf Hühnerbeinen und kann sowohl als Helferin als auch als gefährliche Kreatur auftauchen.
Im gleichnamigen Film von 2020, der im Deutschen den Untertitel „Sie kommt, um dich zu holen“ trägt, tritt sie in Gestalt eines Kindermädchens auf, das von einem uralten Dämon besessen ist. Klingt schon nicht besonders originell und wird der Figur der Baba Yaga in keinster Weise gerecht. Die ohnehin schon lahme Erzählung folgt Schema F und bietet keine neuen Ideen.
The Curse of Sleeping Beauty
Im Schlaf sieht er die Schlafende: Thomas wird von Alpträumen geplagt und sieht darin ein geheimnsivolles Mädchen, das in tiefem Schlummer liegt. Eine mächtige Kraft hält ihn davon ab, sie zu küssen. Dann erbt er auch noch ein Familienanwesen, auf dem ein Fluch liegen soll. Kann es da wohl einen Zusammenhang geben? Diese ungewöhnliche Dornröschen-Version hat einige Logiklöcher, billige Effekte und auch sonst nicht wirklich etwas zu bieten.
The Curse of Sleeping Beauty aus dem Jahr 2016 strotzt vor Klischees und geizt mit Spannung. Damit reiht er sich ein in die lange Reihe misslungener Märchenadaptionen.
Rumpelstiltskin
„When the faiy tale ends, the nightmare begins“ verspricht der Film Rumpelstiltskin aus dem Jahr 1995. Klingt vielversprechend, die Handlung hingegen… Im 15. Jahrhundert wird Rumpelstiltskin in eine kleine Jadefigur eingesperrt, bis im heutigen Los Angeles eine schwangere Polizistenwitwe ausgerechnet diese Figur ersteht. Eigentlich reicht diese Zusammenfassung schon, um zu verstehen, warum dieser Film ein herber Flop an den Kinokassen war.
Märchenhorrorfilme: Es gibt noch viel Potenzial
Diese Auswahl an Märchenhorror ist sicher nicht vollständig, zeigt aber, wie viel Pozenzial in diesem Crossover aus Märchen und Horror schlummert. Gleichzeitig macht es aber auch deutlich: Bisher blieb das Potenzial eher ungenutzt. Vielleicht kann The Ugly Stepsister dem ganzen neuen Schwung geben und wir bekommen bald vielleicht doch noch die ein oder andere gelungene Märchenhorrorverfilmung mehr. Es würde das Horrogenre ebenso bereichern wie Märchen.