Mit „Aladdin“ liefert uns Disney eine weitere Live Action-Verfilmung eines Zeichentrickklassikers. Ob das wirklich sein muss, haben wir uns angesehen. Hier kommt die Filmkritik.
Disney’s Aladdin Film im neuen Look
Die Zeiten, in denen wir uns jedes Jahr auf einen neuen Zeichentrickfilm aus dem Hause Disney freuen durften, sind lange vorbei. An die Stelle der liebevollen, Disney-typischen Zeichnungen sind heute effektvolle CGI-Animationen getreten, die altbekannte Klassiker zu neuem Leben erwecken. Der Disney-Konzern hat es als lukrativ entdeckt, die beliebten Filme neu aufzulegen und die bekannten Geschichten meist mehr, mal weniger getreu einfach nochmal zu erzählen. Dieses Schicksal hat 2019 auch den cleveren Dieb aus Agrabah ereilt. Der neue Aladdin-Film startete am 23. Mai in neuer Optik in den Kinos. Wir verraten dir, was dich erwartet.
Ein Film der goldenen Disney-Ära
Mit „Aladdin“ hat Disney 1992 eines seiner Meisterwerke geschaffen. Der Film reiht sich ein in die goldene Disney-Ära der 90er Jahre, die Filme wie Arielle (1989), Die Schöne und das Biest (1991), Der König der Löwen (1994) oder Der Glöckner von Notre Dame (1996) hervorgebracht hat. Ihm folgten mit Dchafars Rückkehr (1994) und Aladdin und der König der Diebe (1996) zwei Fortsetzungen sowie eine 86-teilige Fernsehserie.
Damals wie heute erzählt der Film die Geschichte des mittellosen Diebes Aladdin, der sich in Jasmin, die Tochter des Sultans, verliebt. Als er in den Besitz der sagenumwobenen Wunderlampe kommt, sieht er seine Chance gekommen, als Prinz Ali Jasmins Herz zu erobern. Doch nicht nur Jasmins Eigensinn erschwert seinen Plan. Dschafar, der Großwesir des Sultans, schmiedet finstere Pläne, gegen die Aladdin sich nur behaupten kann, indem er erkennt, wer er wirklich ist.
Die Frage nach dem eigenen Ich
Wie in vielen Disney-Filmen so geht es auch in „Aladdin“ um die Frage nach dem eigenen Ich und das Erkennen der eigenen Stärken. Dieses Thema wird in der Live-Action-Verfilmung noch deutlicher herausgearbeitet als im Original. Die Protagonisten und Protagonistinnen weigern sich allesamt, die Rollen zu erfüllen, die ihnen zugedacht sind: Aladdin will kein Dieb sein, Dschinni kein willenloser Flaschengeist. Jasmin verweigert ihre Rolle als Prinzessin und Dschafar, der sich vom Dieb bis zum Großwesir hochgearbeitet hat, erträgt es nicht, nur der zweitmächtigste Mann im Reich zu sein.
Insgesamt beschränkt sich der Film jedoch darauf, die Themen des Originals weiterzuführen, statt ihm gänzlich neue Aspekte hinzuzufügen. Abgesehen von der obligatorischen „Beide haben ihre Mutter verloren“-Szene, die dem Liebespaar eine tragische – und unnötige – Gemeinsamkeit verleiht, folgt der Film dem Erzählstrang der Vorlage.
Aladdin Neuverfilmung: wenig Neues
Zugunsten einiger neuen Szenen trifft Aladdin die als Bettlerin verkleidete Prinzessin Jasmin bereits bei seiner ersten Verfolgungsjagd durch die Straßen Agrabahs. Jasmin hat mit Dalia außerdem eine Dienstbotin und Freundin bekommen, die vor allem dazu dienen soll, sowohl Jasmin als auch Dschinni mehr Charaktertiefe zu verleihen. Ob das gelungen ist… na ja.
Eine der auffälligsten Änderungen ist jedoch die Anfangssequenz. Sie beginnt nicht mit dem umherziehenden Händler, der babylonische Tupperware anpreist und vom ewigen Sand singt, sondern auf einem Schiff vor der Küste Agrabahs. Dschinni-Darsteller Will Smith erscheint hier als Erzähler der Geschichte und zollt damit der ursprünglichen Idee Tribut, dass sich im Film von 1992 der Dschinni nach seiner Befreiung eigentlich in den Erzähler vom Anfang verwandeln sollte. Um sich die Chancen auf eine Fortsetzung offenzuhalten, verwarf man diese Idee damals jedoch wieder.
Nicht so schlimm, wie befürchtet
Anders als die vorangegangenen Live-Action-Verfilmungen sorgte bereits die Veröffentlichung des Aladdin-Teasers für jede Menge Spott. Das lag vor allem an Will Smith, der als Dschinni in die großen Fußstapfen von Robin Williams (und dessen unnachahmlichen deutschen Synchronsprecher Peer Augustinski) tritt. Aber: Ganz so schlimm wie befürchtet, ist er nicht. Smith, als der bekannteste der Schauspieler auch Zugpferd des Films, versucht gar nicht erst, seinen Vorgänger zu imitieren. Stattdessen schafft er eine Balance zwischen überdrehtem Flaschengeist und einem doch irgendwie menschlichen Wesen, das sich nach Freiheit sehnt. Ein Pluspunkt ist zudem, dass Dschinni auch mal ganz menschlich auftreten darf und seine zunächst doch gewöhnungsbedürftige blaue Erscheinung nicht überstrapaziert wird.
Anfangs etwas blass spielt sich Mena Massoud als Titelheld im Laufe des Films zusehends warm. Mit dem Charme des Zeichentrick-Aladdins kann er trotzdem nicht mithalten. Ebenfalls blass bleibt Marwan Kenzari als Dschafar. Sein Dschafar ist hinterhältig, in Ansätzen fast schlangenhaft, aber nie wirklich bedrohlich. Dafür gibt Naomi Scott eine starke Jasmin, die ihre im Vergleich zum Original deutlich erweiterte Screentime auszufüllen versteht. Nasim Pedrad ist in der neu geschaffenen Rolle der Dalia zu sehen und Navid Negahban hat mit dem zwar liebenswerten, aber doch recht einfältigen kleinen dicken Sultan aus der Vorlage nichts zu tun.
Der neue Aladdin Film: Bunt und bildgewaltig
Vor der optischen Ausstattung des Films verblasst jedoch die gesamte Darstellerriege. Die Realverfilmung zeigt eindrucksvoll, was mit der sogenannten CGI-Technik (Computer Generated Imagery) alles möglich ist. Sie entfacht eine Bilderflut, so bunt und gewaltig, dass man sich ihr als Zuschauer*in nicht entziehen kann. Gerade wenn sich die eindrucksvollen Bilder mit Alan Menkens oscarprämierter Musik mischen (Ja, natürlich wird gesungen. Es ist ein Disneyfilm!), sind das Gänsehautmomente. Aber Achtung: Solltet ihr euch für die deutsche Fassung des Films entscheiden, müsst ihr euch leider wieder auf neue Songtexte einstellen.
Die beeindruckende Technik, die sich etwa im Vergleich zu Disney’s Die Schöne und das Biest (2017) deutlich weiterentwickelt hat, ist gleichzeitig das größte Problem des Films. Denn der Zuschauer und die Zuschauerin wird so mit CGI und Effekten zugebombt, dass das Liebevolle, Herzerwärmende auf der Strecke bleibt, das eigentlich so typisch Disney ist. So ist etwa das Äffchen Abu sicher für den aktuellen Stand der Technik toll animiert, wirklich niedlich kann man Aladdins Sidekick aber nicht finden. Auch deswegen bleiben einige Gags auf der Strecke.
Starker Prinzessinnenmoment
Dass Disney mehr ist als CGI (auf das sich der Konzern in seinen Realverfilmungen ja irgendwie zu beschränken scheint), zeigt Jasmin in einer der wenigen Szenen des Films, in denen die Technik in den Hintergrund treten darf. Ihre Rolle hat sich am deutlichsten weiterentwickelt. Schon im Film von 1992 ist die Disney-Prinzessin eine starke und selbstbewusste Frau. Die neue Jasmin geht sogar noch weiter und will Sultan werden – weil diese Rolle ihr ihrem Selbstverständnis nach zusteht. Und damit nicht genug: Sie will es anders machen als die herrschenden Männer bisher und unters Volk gehen, will die Menschen kennenlernen. Entsprechend entschlossen ist sie, ihr Land zu verteidigen.
Ist es im Zeichentrickfilm Dschafars Größenwahn, der ihn dazu bringt, bereits kurz nach seinem Wunsch Sultan zu werden, kopflos den nächsten Wunsch zu äußern, ist es im neuen Aladdin-Film Prinzessin Jasmin, die ihm zeigt, dass er nicht so mächtig ist, wie er glaubt. Der dazugehörige neu geschriebene Song „Speechless“ gehört aber auch deshalb zu den stärksten Momenten des Films, weil sich die Kamera vor allem auf Jasmins Gesicht konzentriert, das echte, lebendige Gefühle transportiert. Das kann die tollste Technik nicht besser machen als Naomi Scott in dieser Szene.
Bollywood statt Agrabah
In Sachen Kostümen orientiert sich die Aladdin-Realverfilmung an der Musicalfassung, ist allerdings noch bunter und glitzernder. Das macht das Setting in einer arabischen Stadt unglaubwürdig. Stattdessen fühlt man sich in einen Bollywood-Film versetzt, in dem dank Guy Ritchie auch Actionszenen nicht zu kurz kommen.
Insgesamt ist Aladdin ein Film mit hohem Schau- und durchaus auch einem gewissen Unterhaltungswert. Über den Sinn solcher Neuverfilmungen braucht man nicht zu diskutieren, denn er ist offensichtlich: Es geht ums Geld und eine noch weitere Kommerzialisierung der eigenen Werke, etliche weitere Disney Realverfilmungen sind geplant. Ebenso unstrittig ist, dass in jedem Disneyfilm ein gewisses Zuviel steckt: zu viel Zuckerguss, zu viel Niedlichkeit, zu viel Gefühl. Das Zuviel an Technik in der Aladdin-Live-Action ist aber einfach zu viel, um den typischen Disney-Zauber zu entfachen. Somit ist der neue Aladdin Film ein technisch beeindruckender Film. Aber irgendwie nicht mehr wirklich ein Disney-Film.
Fun Facts über Disney’s Aladdin:
- Noch bevor es offiziell Pläne für die Realverfilmung gab, wurde 2015 bekannt, dass Disney an einem Prequel zu Aladdin arbeitet. Es soll den Namen Genies tragen und die Vorgeschichte des Dschinnis erzählen.
- Viele Elemente der 90er-Jahre-Verfilmung stammen aus dem oscarprämierten Film Der Dieb von Bagdad aus dem Jahr 1940.
- Robin Williams lieh dem Dschinni nicht nur seine Sprech-, sondern auch seine Gesangsstimme. Einige Zeilen der Lieder hat er selbst geschrieben.
- Ursprünglich sollte der Film in Bagdad spielen. Doch mit dem Beginn des Golfkriegs wurde die Handlung ins fiktionale Agrabah verlegt.
Der neue Aladdin-Film im Märchencheck
Auch wenn der neue Aladdin-Film auf dem Zeichentrickfilm beruht, sein Original ist das Märchen Aladin und die Wunderlampe aus Tausendundeine Nacht. Wobei: Das ist schon die erste Ungenauigkeit. Denn auch wenn Aladin und die Wunderlampe (da wird er mit einem D geschrieben) als eines der bekanntesten Märchen aus Tausendundeine Nacht gilt – zum ursprünglichen Bestand der arabischen Märchensammlung gehörte das Märchen nicht. Stattdessen wurde sie wahrscheinlich vom maronitischen Geschichtenerzähler Hanna Diyab für den Franzosen Antoine Galland verfasst, der das Märchen dann im neunten und zehnten Band seiner französischen Übersetzung von Tausendundeine Nacht veröffentlichte.
Und obwohl das Märchen von der Wunderlampe zu einer der bekanntesten Geschichten aus der arabischen Märchensammlung zählt, dürfte Disney’s Aladdin deutlich bekannter sein. So kommt es, dass uns einige Änderungen gegenüber dem Original überraschen dürften:
- Das Märchen spielt eigentlich in China.
- Dschafar ist ein afrikanischer Zauberer.
- Der Zauberer gibt sich als Aladins Onkel aus.
- Aladin bekommt von ihm einen magischen Ring, in dem ein mächtiger Dchinn wohnt.
- Der zweite magische Gegenstand ist die Wunderlampe. In ihr lebt ebenfalls ein Flaschengeist.
- Aladin hat noch einen bösen Bruder.
Zugegeben: Vor allem wenn man die Disney-Fassung kennt, wirkt das Original etwas wirr und unübersichtlich. Die inhaltlichen Änderungen kommen dem Film grundsätzlich zugute und sind eine Art, diese Geschichte zu erzählen. Zumindest in der Zeichentrickfassung gelingt es Disney auch, den Zauber von Tausendundeine Nacht zu vermitteln und die Faszination, die die arabische Märchensammlung damals Jahrhundert ausgelöst hat, greifbar zu machen. Die Neuverfilmung enttäuscht diesbezüglich und erinnert eher an einen viel zu bunten Kostümfilm.
➛ Mehr über Aladin und die Märchen aus Tausendundeine Nacht könnt ihr in unserer Podcast-Folge 17: “Von der Geschichte in der Geschichte in der Geschichte” hören.
Der Aladdin-Film im Überblick
- Genre: Fantasy,
- Entstehung: USA 2019
- Regie: Guy Ritchie
- Darsteller u.a.: Will Smith, Mena Massoud, Naomi Scott
- Verleih: Walt Disney Germany
- Kinostart: 23. Mai 2019
- auf Platz 9 der erfolgreichsten Filme des Jahres 2019
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