Märchen haben noch immer großen Einfluss auf die Popkultur. In unserer Reihe “Märchen und Musical“ stellen wir euch Märchen vor, die es auf die Musicalbühne geschafft haben. Heute: „Märchen schreibt die Zeit“ beziehungsweise Die Schöne und das Biest.
Die Schöne und das Biest: eine Erfolgsgeschichte
Dass Märchen sich hervorragend als Musicalverfilmung eignen, zeigte Disney bereits im Jahr 1937 mit seinem ersten abendfüllenden Zeichentrickfilm Schneewittchen. Mit Cinderella (1950), Dornröschen (1959) und Arielle (1989) folgten weitere erfolgreiche Märchenadaptionen.
Diese Serie setzte 1991 auch der dreißigste abendfüllende Zeichentrickfilm der Walt-Disney-Studios fort: Die Schöne und das Biest, zu dessen stimmigen Gesamtkonzept aus mutiger Protagonistin, märchenhafter Kulisse, einer zu Herzen gehenden Botschaft sowie der Prise Romantik vor allem die Musik einen entscheidenden Teil beiträgt. Es war nur folgerichtig, dass der Film ein Jahr später jeweils einen Oscar für den Besten Song und die Beste Filmmusik gewann. Der Film gehört zudem laut dem American Film Institute zu den 25 bedeutendsten amerikanischen Musicalfilmen.
Die Schöne und das Biest Musical: eine Neuheit
Was heutzutage gängige (und durchaus diskutable) Praxis im Musicaltheater geworden ist, war damals ein neuer Schritt: die Adaption eines Disneyfilms für die Musicalbühne. Die Schöne und das Biest zeigte: Disney funktioniert nicht nur auf der Leinwand, sondern auch auf der Bühne. Seit seiner Weltpremiere am 18. April 1994 am New Yorker Broadway erreichte das Musical bis heute rund 25 Millionen Menschen in 13 Ländern. Es wurde für neun Tony Awards, den Musical-Oscar, nominiert und gewann 1998 den Laurence Olivier Award.
Ein Blick auf das Original
Doch gehen wir nochmal einen Schritt zurück und sehen uns die Vorlage dieser Erfolgsgeschichte an. Disney-Film wie Musical beruhen auf dem Märchen “La Belle et la Bête” (“Die Schöne und das Tier”) der französischen Autorin Jeanne Marie Leprince de Beaumont. Diese war im 18. Jahrhundert als Gouvernante und Erzieherin tätig und verfasste zahlreiche Märchen, darunter eben auch “La Belle et la Bête“.
Die erste Veröffentlichung dieses Stoffs stammt allerdings nicht von ihr, sondern von der Französin Gabrielle-Suzanne de Villeneuve und erschien 1740 im La jeune américaine, et les contes marins erschien. Diese Fassung griff wiederum auf Motive zurück, die sich in “König Schwein” in Ergötzliche Nächte, einer Märchensammlung von Giovanni Francesco Straparola aus den Jahren 1550 bis 1555, finden.
Pädagogische Aspekte im Fokus
Die bekannteste Fassung ist jedoch die von de Beaumont. Diese veröffentlichte die im Vergleich zu Villeneuve gekürzte Fassung im Jahr 1756 im Magasin des enfan[t]s, ou dialogues entre une sage gouvernante et plusieurs de ses élèves, noch im selben Jahr erschien die deutsche Übersetzung.
Das Märchen ist merklich darauf aus, pädagogische Aspekte zu vermitteln und betont so vor allem die Tugendhaftigkeit der Protagonistin. Sie ist nicht nur die Schönste der drei Schwestern, sondern auch diejenige mit dem besten Charakter. Wie so oft im Märchen ist die außergewöhnliche äußere Schönheit also auch hier wieder ein Verweis auf ihr Inneres.
Darüber hinaus verkörpert sie folgende Eigenschaften:
- Selbstlosigkeit und Opferbereitschaft: Sie bietet sich freiwillig an, anstelle ihres Vaters beim Biest zu leben, um seine Strafe abzuwenden – ein Akt großer Nächstenliebe und Familiensinns.
- Bescheidenheit und Demut: Im Gegensatz zu ihren eitlen und habgierigen Schwestern ist die Schöne bescheiden, genügsam und stellt materielle Werte nicht über geistige oder moralische.
- Pflichtbewusstsein und Gehorsam: Sie akzeptiert ihre Rolle im Haushalt des Biests ohne Rebellion, erfüllt ihre Aufgaben und respektiert die Regeln des Biests – eine wichtige Tugend im damaligen Rollenbild der Frau.
- Güte und Mitgefühl: Trotz des angsteinflößenden Äußeren des Biests behandelt sie es mit Freundlichkeit und entwickelt aufrichtige Zuneigung zu ihm.
- Urteilsvermögen und innerer Blick: Sie lässt sich nicht vom Äußeren täuschen, sondern erkennt den wahren Charakter des Biests. Das zeigt Weisheit und moralische Reife.
- Belohnung der Tugend: Am Ende wird die Schöne für ihre Tugenden belohnt – das Biest verwandelt sich in einen Prinzen, sie wird Königin. Dies spiegelt das damalige moralische Ideal wider: Tugend wird belohnt, Oberflächlichkeit bestraft.
Beaumont hat damit also eine Protagonistin geschaffen, die symbolisch für das Idealbild der tugendhaften Frau im 18. Jahrhundert steht: moralisch überlegen, bescheiden, selbstlos und urteilsfähig – Werte, die im Kontext von Erziehungsliteratur und Moralgeschichten der Zeit besonders betont wurden und die sie als Gouvernante an heranwachsende Mädchen vermittelte.
In Film und Musical deutlich moderner
Der Disney-Film gestaltet die Rolle der Belle deutlich moderner, behält aber den Bezug zum Original bei: Die Disney-Belle ist ebenfalls selbstlos und nimmt den Platz ihres Vaters ein. Ihre Fallhöhe ist sogar nicht größer, weil sie sich immer nach Freiheit sehnt und sich fehl am Platz fühlt. Auch sie entwickelt mit der Zeit Güte und Mitgefühl, erkennt, dass wahre Schönheit im Inneren liegt und lernt zu lieben. Das ist damals wie heute eine wichtige Botschaft: Wahre Liebe muss reifen und braucht Zeit.
Abgesehen davon tritt Belle deutlich selbstbewusster auf. Legt Beaumont, dem zeitgeschichtlichen Kontext geschuldet, den Fokus auf Demut, Tugendhaftigkeit und Angepasstheit, ist Belle eine Außenseiterin, unangepasst und getrieben von der Frage nach dem Mehr. Sie will Abenteuer erleben und gibt sich eben nicht mit ihrem Leben im Dorf, dessen kleingeistigen Bewohner*innen und damit auch nicht mit der ihr zugedachten Rolle zufrieden. Mehr noch: Sie verweigert diese aktiv, als sie die Avancen des eingebildeten Gaston ausschlägt, weil sie mehr sein möchte als Ehefrau und Mutter. Intelligent und mutig wie Belle ist, ist sie übrigens auch die erste Disney-Prinzessin, die einen Mann von einem Fluch befreit. Die Disney-Adaption des Märchens zeigt somit beispielhaft, wie eine moderne Adaption funktionieren kann. Doch funktioniert das auch auf der Musicalbühne?
Die Schöne und das Biest: Funktioniert das auf der Bühne?
Bühne und Film sind zwei völlig verschiedene Darstellungsformen, hinzu kommt bei Die Schöne und das Biest die Herausforderung, einen Zeichentrickfilm zu adaptieren. Lässt sich Zeichentrick auf reale Menschen übertragen? Wie bringt man den Disneyzauber auf die Bühne? Und wie lassen sich all die fantasievollen Figuren zum Leben erwecken? Schließlich sind es vor allem die verzauberten Sidekicks wie Lumière, von Unruh und Tassilo, die den Charme des Films ausmachen. Die Szene “Sei hier Gast” ist eines der Highlights des Films und wie lässt sich die Verwandlung des Biests darstellen, ohne plump zu wirken?
Wo Disney draufsteht, da erwartet das Publikum schließlich Disney – und im Fall des Broadway-Musicals bekam es das auch. Allein Belles gelbe Traumrobe war so bombastisch, dass sie einem dem Atem verschlug, und besagte Schlüsselszenen wie “Sei hier Gast” oder die Verwandlungssequenz bewiesen, was Musicaltheater zu bieten hat.
Die Schöne und das Biest Musical: zahlreiche Nominierungen
Kein Wunder, dass nach zahlreichen Nominierungen für verschiedene Preise wie die Tony Awards oder die Drama Desk Awards bereits am 28. September 1995 die deutschsprachige Premiere im Raimund Theater in Wien folgte, damals mit den Musicalgrößen Ethan Freemann und Caroline Vasicek in den Hauptrollen.
Im Dezember 1997 erlebte das Disney-Musical dann auch seine Deutschlandpremiere. Es war das erste Stück, das im neu gebauten Palladium Theater in Stuttgart zu sehen war und die Stadt als Musicalstandort etablieren sollte. In der Rolle des Biestes war Musicalstar Uwe Kröger zu sehen, an seiner Seite spielte Leah Delos Santos, die durch ihre Rolle der Kim in Miss Saigon bekannt geworden war. Wie schon in Wien war es eine Eins-zu-Eins-Adaption der Broadway-Fassung.
Abgespeckte Rückkehr
Wer diese Fassung kennt, den dürften die späteren Versionen des Musicals enttäuscht haben. Im Dezember 2005 kehrte das Stück nach Deutschland zurück und wurde im Metronom Theater Oberhausen in einer deutlich abgespeckten Version gezeigt. Die einst eindrucksvolle Rückverwandlung des Biests war in dieser Version durch einen mit Rauch verschleierten Kleidungswechsel gelöst. Und auch an anderen Stellen ging einiges von der Magie der Broadway-Fassung verloren.
Die Kostüme waren zwar immer noch prächtig anzusehen, waren aber deutlich mehr an die Mode des Rokoko angelegt. Das passt natürlich zur Veröffentlichungszeit des Märchens durch Beaumont, die farbenprächtigen und imposanten Kostüme der Urfassung konnten sie allerdings nicht ersetzen.
Der Zauber ging verloren
Seit seiner Rückkehr nach Deutschland Anfang der 2000er Jahre wurde das Stück immer wieder aufgeführt, etwa als Tourneeproduktion oder 2013 erstmals als Freilichtaufführung auf der Felsenbühne Staatz. Dabei hat es rein optisch aber mehr und mehr an Zauber verloren, in manchen Aufführungen wirkte die Ausstattung eher billig und ließ die Detailgetreue und Kraft der Anfangszeit auch in Sachen Bühnenbild vermissen.
Die Schöne und das Biest Musical: die Musik
Doch Musical ist nicht nur Kostüm und Bühnenbild. Musical ist vor allem Musik. Der Disney Film liefert da eine starke Vorlage. Songs wie “Sei hier Gast”, das oscarprämierte “Märchen schreibt die Zeit” oder die starke Chornummer “Tod dem Biest“ sind Gänsehautgaranten – für eine dreistündige Musicalaufführung aber doch etwas wenig.
Und so tat man etwas, was bei Adaptionen von Disneyfilmen für die Musicalbühne inzwischen Usus ist, aber oft nicht wirklich gelingt: Es werden Songs dazu geschrieben, um wenigstens einigermaßen einen musikalischen Bogen zu spannen. Dass in Disneymusicals Dialoge trotzdem überwiegen, lässt sich mit ihrer filmischen Basis erklären. Inzwischen fällt es ohnehin Standard geworden, dass viele neuere Stücke mehr Dialog als Songs bieten. Durchkomponierte Stücke wie einst Les Misérables, Elisabeth oder zuletzt Hamilton sind in dem Einheitsbrei der Musicalneuproduktionen leider selten geworden.
Das sind die neuen Songs
Bei Die Schöne und das Biest war all das aber neu und bot die Möglichkeit, Figuren mehr Raum zu geben. Gaston konnte in seinem neuen Solo “Ich” noch mehr zeigen, warum er der Bösewicht ist, Belle und ihr Vater Maurice haben mit “Was auch geschieht” ein Duett bekommen, das ihre Beziehung sowie ihre Außenseiterrolle betont und in “Maisons des Lunes” dürfen Gaston, LeFou und Monsieur D’Arque ihren hinterhältigen PLan schmieden, mit dem sie Maurice ins Irrenhaus bringen wollen.
Außerdem entstand das Biest-Solo “Wie lang noch soll das gehen?” sowie das kurze Belle-Solo “Zuhause”. Das ist alles nett, reicht meist aber nicht an die musikalische Qualität der Filmlieder heran. Am stärksten ist hier noch der Höhepunkt des ersten Aktes: In “Wie kann ich sie lieben” erkennt das Biest, dass es Belle liebt, möglicherweise aber nie lernen wird, richtig zu lieben oder geliebt zu werden. Hier wird seine Verzweiflung deutlich und das Publikum wird daran erinnert, dass sein Leben von dieser Liebe abhängt. Erzählerisch spannt das zudem einen schlüssigen Bogen zum Prolog, in dem die Zauberin ihn verwandelt und die Bedingungen für seine Erlösung festlegt: Nur wenn er geliebt wird, kann er wieder ein Mensch werden.
Sehenswert, aber…
Insgesamt sind die musikalischen Ergänzungen in Die Schöne und das Biest von allen Disneymusicals, die inzwischen ihre Bühnenadaption feiern durften, trotz offenkundiger Schwächen deutlich stärker als das, was etwa in Aladdin, Der Glöckner von Notre Dame oder dem musikalisch ja eh schon schwachen Die Eiskönigin zu hören ist. Hier driften die Qualität von Film- und neuen Songs teils eklatant auseinander.
Wäre es trotzdem schön, Die Schöne und das Biest wieder auf der Bühne zu sehen? Ja, nicht nur für Nostalgiker*innen aber bitte in der 90er-Jahre-Version. Denn die hat nicht nur ein Stück Musicalgeschichte geschrieben, sondern es auch geschafft, den Zauber eines Zeichentrickfilms auf ein völlig anderes Medium, nämlich die Bühne, zu übertragen. In den späteren Versionen hat sich dieser Zauber leider immer weiter verloren.
Die Schöne und das Biest: ein deutsches Musical
Die Schöne und das Biest gibt es als Musical übrigens nicht nur in der Disney-Version. Weit weniger bekannt ist die gleichnamige Musicalfassung des deutschen Komponisten Matin Doepke. Dieses feierte am 22. September 1994 seine Welturaufführung im Kölner Sartory-Theater.
Anders als in der Disney-Version ist die Geschichte hier in Deutschland angesiedelt, weshalb die Figuren zum Teil auch deutsche Namen tragen. Auch inhaltlich gibt es einige Unterschiede zur Disney-Fassung, optisch erübrigt sich der Vergleich sowieso. Musikalisch aber ist das Stück sehr hörenswert und bietet eine Mischung aus Balladen, Up-Tempo-Stücken und schnellen Ensemblenummern, die zum Teil gefälliger daherkommen, als die Neukompositionen des Disney-Musicals.