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Hänsel und Gretel: Hexenjäger: Launige Splatter-Action

Hänsel und Gretel: Hexenjäger

Mystery, Horror, Liebe oder Comedy – Märchen müssen nicht nur als kindgerechter Märchenfilm verfilmt werden. Sie bieten sich für zahlreiche Genres an. Doch funktionieren Märchen auch als Actionfilme? Die Verfilmung „Hänsel und Gretel: Hexenjäger“ probiert es aus.

Hänsel und Gretel: Hexenjäger: einer von vielen?

Märchen-Retellings sind nicht nur ein aktueller Booktok-Trend. Schon vor zehn Jahren gab es eine Phase, in der Hollywood die Märchenwelt für sich entdeckt und populäre Märchen radikal modernisiert hat. Neben der viel gelobten Verfilmung Spieglein Spieglein mit Julia Roberts gelang das mit Red Riding Hood und Snow White and the Huntsman eher mäßig bis gar nicht und auch an den Kinokassen blieb der finanzielle Erfolg aus.

Eigentlich merkwürdig, wenn man bedenkt, dass Disney seit Jahrzehnten nichts anderes macht, als Märchen zu verfilmen. Und dabei macht Disney eben doch vieles anders. Oder machte, denn bei seinen unzähligen Realverfilmungen ist auch dem Maus-Konzern inzwischen die entscheidende Zutat abhandengekommen: die Liebe zum Original. 

Nacherzählungen von Märchen: viele Möglichkeiten

Märchen müssen nicht eins zu eins nacherzählt werden, weder im Buch noch im Film. Beschäftigt man sich eingehender mit diesen Geschichten, stellt man schnell fest, dass es sich dabei mitnichten um simple Kindergeschichten handelt. Vielmehr entpuppen sie sich als tiefgründige Geschichten, die von historischen über soziologischen bis zu tiefenpsychologischen Deutungen jede Menge Raum für Interpretationen lassen. Märchen haben viele Lesarten. Sich einen bestimmten Aspekt herauszupicken und ihn besonders herauszuarbeiten verfälscht nicht das Ausgangswerk, sondern fügt ihm eine neue Facette hinzu.

Disney hat das mit Filmen wie Arielle, Die Schöne und das Biest oder Rapunzel geradezu meisterlich bewiesen. Ja, die Filme weichen zum Teil entscheidend vom Original ab. Und doch bleiben sie den Märchen treu.

Hänsel und Gretel: Hexenjäger: das Märchen als Actionfilm

Den meisten anderen “modernen” Märchenadaptionen gelingt das nicht. Dabei bieten sie sich von Liebesfilm über Komödie bis Mystery und blutigsten Horror eine Vielzahl von Genres an, die man mit ihnen bedienen könnte. Dass Märchen sogar als Actionfilm funktionieren kann, zeigt die Verfilmung Hänsel und Gretel: Hexenjäger aus dem Jahr 2013. Vorab: Auch bei dem Film von Tommy Wirkola handelt es sich um kein märchenhaftes Meisterwerk. Auch dieser Film hat einige Schwächen. Aber wer Action mag, kommt hier doch auf seine Kosten. Und die Ausgangssituation des Films ist durchaus interessant.

Der Film beginnt clever mit der Erzählung, die wir alle kennen: Die Geschwister Hänsel (Cedric Eich) und Gretel (Alea Sophia Boudodimos) werden von ihrem Vater scheinbar herzlos im Wald ausgesetzt, wo sie auf ein Lebkuchenhaus stoßen. Das wirkt fast wie eine Pforte in eine andere Welt – passend, denn in dem Moment, wo sie über die Türschwelle treten, wird sich ihr Leben für immer verändern.

Geschwisterpaar mit neuem Job

Wer drinnen auf die beiden wartet, ist ebenfalls bekannt: eine böse Hexe, die Hänsel mästet und Gretel zum Arbeiten zwingt. Doch Gretel weiß sich zu helfen und so schmort die Alte bald selbst im Feuer. Diese Geschichte wird zur Legende und wer einmal eine Hexe töten kann, kann das auch ein weiteres Mal. Von wegen himmlisches Kind: Bewaffnet mit Kettensäge und Armbrust rücken die Geschwister dem Kindheitstrauma zu Leibe und machen das Töten von Hexen zum Beruf. Sie werden Hexenjäger*innen.

Als solche gelangen die jetzt erwachsenen Geschwister, verkörpert von Jeremy Renner und Gemma Arterton, nach Augsburg, wo mehrere Kinder spurlos verschwunden sind. Widerstand gibt es vom brutalen Sheriff Berringer (Peter Stormare), doch schon bald müssen die Bewohner*innen der Stadt erkennen, dass ihr Hexenproblem viel größer ist, als befürchtet. Doch zum Glück sind Hänsel und Gretel im Umgang mit den bösen Magierinnen alles andere als zimperlich.

Rasante Action mit Splattereffekten

Heraus kommt unterhaltsame Splatter-Action, in der Blut und Gedärme ordentlich spritzen dürfen. Die Actionszenen sind rasant und unterhaltsam choreographiert und glücklicherweise fällt hier nicht ins Gewicht, dass der Film damals ebenfalls auf den 3D-Hype aufgesprungen ist und viele Szenen offensichtlich für den 3D-Effekt gedreht wurden. Sie funktionieren auch ohne 3D-Brille und sind, anders als in vielen anderen Filmen dieser Zeit, gut gealtert. 

Dass die für den ein oder anderen teils deftig wirkenden Splatterszenen nicht zu drastisch wirken, liegt daran, dass der Film sich nicht zu ernst nimmt. Er will unterhalten und verzichtet bewusst auf jeglichen Tiefgang. 

Hänsel und Gretel als Actionfiguren

Hänsel und Gretel sind als coole Actionfiguren angelegt – und der Begriff “Figuren” ist hier absichtlich gewählt, denn menschlich wirken die beiden nie. Selbst die zwar nicht überraschende, aber durchaus interessante Hintergrundgeschichte rund um den Tod der Eltern berührt nicht wirklich. Sie ist nicht mehr als Staffage, hätte in einem anderen Genre als dem Action-Genre aber vielleicht weiter verfolgt und zu einem ergreifenderen Twist führen können.

Mit Psychologie und leisen Zwischentönen hält der Film sich aber nicht auf. Hänsels Love Interest und Gretels Freundschaft zu einem Troll sind nur Mittel zum Zweck und so (Achtung Spoiler) berührt auch der Tod einer Nebenfigur kein bisschen. Selbst Hänsel ist schnell darüber hinweg

Funktionalität vor Tiefgang

Eine komplexe Figurenzeichnung bleibt somit aus, auch wenn sich hier ja zumindest um eine Background-Story bemüht wurde. Doch die Geschwister bleiben unnahbar: Hänsel als grimmiger Actionheld, Gretel als Amazone in Lederkluft, die immerhin die aktivere von beiden sein darf. 

Das ist insofern ein wenig schade, als dass mit Nebenfigur Mina (Pihla Viitala) ein Aspekt des Hexendaseins ins Spiel gebracht wird, der ebenfalls etwas mehr Raum verdient hätte. So dient er lediglich dazu, Hänsels Diabeteserkrankung in den Griff zu kriegen und das Geheimnis rund um Gretel und ihre Mutter vorzubereiten, das dann aber auch schnell abgefrühstückt ist.

Albern statt gruselig: die Hexen

Und damit kommen wir zu den Kontrahentinnen der Geschwister: den Hexen. Sie passen zur Ausrichtung des Films, sind aber trotzdem eine Enttäuschung. Um hier einmal das Original zu bemühen: Die Hexe im Grimm-Märchen ist die Verkörperung kindlicher und auch menschlicher Angst: Eine Frau, alt und hässlich, mit Zauberkräften, die alleine an einem düsteren Ort, dem dunklen Wald lebt. In der Hexenfigur laufen viele Vorstellungen und Ängste sowie Überbleibsel des historischen Hexenglaubens zusammen. Ein wenig gruseliger hätten sie ruhig sein dürfen. 

Im Film kommen sie stattdessen als kreischende Monster daher, die eher albern als furchteinflößend wirken. Famke Janssen (“X-Men”) in der Rolle der Oberhexe wirkt viel bedrohlicher in ihrer menschlichen Gestalt. Hier hat sie eine gefährliche, teils mystische Ausstrahlung. Sobald sie sich verwandelt, verpufft die Atmosphäre zu Klamauk. 

Beim großen Hexensabbat im Finale erhaschen wir immerhin einen kurzen Blick darauf, wie vielfältig Hexen aussehen können. Hier ist das ein oder andere originelle Kostüm dabei. Das Dreiergespann, mit dem wir es im Laufe der Handlung hauptsächlich zu tun haben, enttäuscht in seiner Aufmachung eher.

Möchtegern-Mittelalter trifft Moderne

Die sonstige Ausstattung des Films verbindet ein fiktives Mittelalter mit modernen Elementen. Die Waffen und Werkzeuge, die Hänsel und Gretel im Gepäck haben, passen nicht in die Zeit, in der sie sich eigentlich bewegen. Sie unterstreichen: Die beiden sind nicht von dieser Welt und den Normalsterblichen weit voraus.

Darüber hinaus ist der Film offensichtlich ein Studiofilm. Alles wirkt unecht und künstlich, die Hochglanzoptik steht im Kontrast zu den bewusst trashigen Einlagen des Films. Da all das aber mit einer ordentlichen Portion Selbstironie geschieht und der Film sich an keiner Stelle zu ernst nimmt, kann man sich als Zuschauer*in darauf einlassen.

Hänsel und Gretel: Hexenjäger: eine bereichernde Adaption?

Fügt der Film dem Märchen “Hänsel und Gretel” damit eine neue Facette hinzu? Jein. Einerseits erzählt er die Geschichte des Märchens weiter und entwickelt durchaus die ein oder andere interessante Idee. Andererseits ist er eben, was er ist: ein unterhaltsamer Actionfilm, der nicht mehr als unterhalten möchte.

Podcast-Tipp: Noch mehr Hänsel und Gretel

Auch in unserem Podcast Märchenpott haben wir uns ausführlich mit Hänsel und Gretel beschäftigt und der Figur der Hexe mit „Verehrt, verdammt, verbrannt“ eine ganze Folge gewidmet. Darin schauen wir uns an, wie die Hexe im Märchen dargestellt wird und welche menschlichen Ängste, pädagogischen Absichten und historische Bezüge in ihr zusammenlaufen. Außerdem begeben wir uns in einen dunklen Abschnitt Menscheitsgeschichte und reisen zurück in die Zeit der Hexenverfolgungen.

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