Märchen verzichten auf explizite Darstellungen, auch auf Schilderungen des Krieges. Doch wie sieht es in Märchenfilmen aus? Das haben wir uns für unsere Folge 73 zum Thema Krieg und Frieden im Märchen angesehen.
Krieg in Märchenfilmen: nicht nur heile Welt
Bei Märchenfilmen denkt man normalerweise an Prinzessinnen in schönen Kleidern, Könige in Hermelinpelzen oder auch bucklige Hexen mit einer großen Nase. Das trifft auch auf die vier DEFA-Filme aus den 1970ern und 80ern zu, die wir euch hier vorstellen möchten. Doch sie alle haben zusätzlich eine eher ungewöhnliche Gemeinsamkeit: Sie stellen recht explizit den Krieg und seine Folgen dar.
Jorinde und Joringel
„Jorinde und Joringel“ aus dem Jahr 1986 siedelt das bekannte Grimmsche Märchen im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) an. Direkt zu Beginn ziehen zu den Klängen von Fanfaren und Trommeln Landsknechte ins Feld. Sie sind prächtig und farbenfroh gekleidet, tragen Federhüte, teils Harnische, einige reiten stolz zu Ross, andere ziehen blinkende Kanonen oder schwenken große Fahnen. Rein optisch ergibt sich ein gutes Bild, doch das Lied, das die Söldner singen, verrät das schreckliche Ziel des Aufmarschs: „Nun geht’s ans große Töten!“ Und das geschieht.
In einem Dorf brennen die Kirche und einige Häuser. Die Bewohner – Männer, Frauen und Kinder – versuchen vergeblich vor den Soldaten zu fliehen. Eine Frau streckt ihr Neugeborenes einem Reiter entgegen und bittet um sein Erbarmen, doch er erschießt beide kaltblütig. Ein alter Mann weicht rückwärts vor einem Lanzenträger zurück und beteuert, dass er „gut evangelisch“ sei, aber er wird trotzdem durchbohrt. Ein dritter Landsknecht schneidet einem jungen Mann die Kehle durch. Nachdem alle Bewohner*innen, die nicht fliehen konnten, getötet wurden, zieht das Heer mit seiner Beute weiter und hinterlässt Tod und Zerstörung. Auch am Weg liegende Leichen werden noch nach Habseligkeiten durchsucht. Eine Frau und ein Mann sind dem Massaker mit ihrer Tochter Jorinde und ihrem Esel entkommen. In der vom Mond spärlich erhellten Nacht fliehen sie ins Ungewisse. Unterwegs entdecken sie in einem anderen brandgeschatzten Dorf einen kleinen Jungen, scheinbar der einzige Überlebende seiner Familie – im Hintergrund liegen Leichen, auch Kinder. Trotz ihrer eigenen aussichtslosen Lage nehmen sie ihn mit und nennen ihn Joringel.
Aufwachsen in Kriegszeiten
Jorinde und ihr Ziehbruder wachsen heran, der Krieg währt nun schon 28 Jahre. Sie haben einen sicheren Ort gefunden, doch eines Tages wird Jorinde in einen Vogel verwandelt und fliegt davon. Es stellt sich heraus, dass eine Zauberin Mädchen auf diese Weise vor dem Krieg schützen will, da ihre eigenen Kinder getötet wurden. Wie im Originaltext gelingt es Joringel seine Jorinde, für die er mehr als geschwisterliche Gefühle empfindet, durch die Macht der Liebe zu retten.
Doch noch ist nicht alles gut. Die drei mörderischen Landsknechte vom Beginn stellen der Familie nach und wollen ihr Glück zerstören. Einer versinkt im Moor, doch die zwei anderen fesseln die Eltern, zünden die Hütte an und wollen Jorinde vergewaltigen. Joringel greift in letzter Minute ein und tötet die Eindringlinge in Notwehr. Doch nicht nur der familiäre Mikrokosmos ist gerettet. Glockengeläut verkündet von überall den Frieden. Die zurückverwandelten Mädchen strömen freudig zu ihren Familien zurück, doch die Zauberin verwandelt sich an einem Hang in einen Wacholderbaum und bleibt als ewige Wächterin zurück. „Jorinde und Joringel“ ist ein ebenso bildgewaltiger wie komplexer Film, der den Krieg in vielen seiner schrecklichen Facetten darstellt. Nichts für kleine Kinder, aber für Erwachsene umso sehenswerter.
Krieg in Märchenfilmen: weitere DEFA-Filmen
Weniger explizit in der Darstellung von direkten Kriegshandlungen, aber dadurch nicht weniger eindrücklich sind drei weitere Filme: „Sechse kommen durch die Welt“ (1972), „Das blaue Licht“ (1976) und „Der Bärenhäuter“ (1986). Sie alle beginnen unmittelbar nach Friedensschlüssen und Abschieden: vom Militär, von Mitsoldaten, von der zerstörten Heimat und der verstorbenen Familie. Und in allen dreien geht es den Soldaten ähnlich: Sie werden vom König fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel, ohne Sold geschweige denn Dank. „Der Friede ist nichts für unsereins!“ oder „Wir haben im Feld gestanden, kein Bissen Brot vorhanden…“ sind Zitate, die diese doppelte Ohrfeige widerspiegeln. Der Krieg hat in allen Lebensbereichen starke und schlimme Spuren hinterlassen. Wohin nun?
Hans strandet bei einer zwielichtigen Hexe, die ihn in einem wasserleeren Brunnen zurücklässt, wo er das blaue Licht findet. Der Protagonist in „Sechse kommen durch die Welt“ sammelt eine kleine Schar anders Begabter um sich, deren skurrile Fähigkeiten gewaltiges Potential in sich bergen. Und Christoffel begegnet dem Teufel, mit dem er einen gewinnbringenden, aber extrem unsauberen Pakt schließt. Doch, wie es im Märchen so ist, gelingt es am Ende allen ihr Glück zu finden, wenn auch nach schweren Prüfungen und neuen Entbehrungen. Während Christoffel, der Bärenhäuter, die Tochter des Goldschmiedes heiratet, den er mit seinem Geld vor dem Schuldturm bewahrt hat, verzichten in den anderen beiden Filmen die Soldaten auf die Prinzessin und suchen sich je eine andere Frau, die einen guten Charakter hat und die sie wirklich liebt.
Filme zum Nachdenken
Diese drei eher unbekannten DEFA-Klassiker sind ebenfalls nichts für kleinere Kinder und selbst als Erwachsene*r muss man über manche dargestellte Verknüpfung zwischen Macht, Geld, Unmenschlichkeit und Krieg etwas länger nachdenken, im besten Sinne. „Das blaue Licht“ und „Sechse kommen durch die Welt“ haben durchaus ein paar klamaukige Momente, die sicherlich nicht Jedermanns*/Jederfraus* Beifall finden. „Der Bärenhäuter“ hingegen bietet teils bitterböses Drama, obwohl es sich um einen eindeutigen Kulissenfilm mit ganz eigener Ästhetik handelt. Alle sind eher speziell, aber sehenswert, nicht nur in Bezug auf die Kriegsthematik.
Podcast Tipp: Märchenpott
Mehr zum Thema Krieg und Frieden im Märchen hört ihr in unserem Podcast Märchenpott in unserer Folge 73 mit dem Titel „Von Höllenheizern, Bärenhäutern und einer simplen Logik.“